Die Perserinnen - Babylon 323
funktionieren.“
Er hatte einen Armvoll Karten mitgebracht, die er eine nach
der anderen auf dem Tisch ausbreitete, um Paruschjati die Einzelheiten zu
erläutern. Bald war die Platte von einer dicken Schicht Papyros-Bögen bedeckt,
die sich an den Enden aufzurollen versuchten. Es fiel Paruschjati schwer, sich
darauf zu konzentrieren. Das Gewirr von Linien, die Flussläufe, Kanäle, Seen,
Staudämme und Deiche symbolisierten, sagte ihr nicht viel, aber sie war sicher,
dass der griechische Ingenieur ganze Arbeit geleistet hatte. Sie überlegte, ob
sie den König nach dem Vorfall auf den Kanälen fragen sollte, der sie so sehr
beunruhigte. Gerüchte gingen um, jedes bot eine andere Version dessen, was
geschehen war. Klar war nur, dass von offizieller Seite versucht wurde, es
herunterzuspielen.
„… nach Arabien“, hörte sie den König sagen, als er eine
weitere große Karte auf dem Tisch ausrollte.
Ach ja, die Arabien-Expedition; seit der Rückkehr nach
Babylon war am Hof ständig die Rede davon. Vielleicht sollte sie jetzt fragen,
dachte Paruschjati, doch sie brachte den Mut nicht auf. Stattdessen sagte sie:
„Wieder eine neue Eroberung.“ Sie hoffte, dass es sich nicht wie Gestichel
anhörte.
„Nicht nur eine Eroberung“, korrigierte er sofort, „es
ist vor allem eine Entdeckungsfahrt. Schau her, ich erkläre es dir.“
Es war eine Weltkarte. Erstaunlich, wie klein die Welt
aussah, wenn man sie auf einem Stück Papyros darstellte, dachte Paruschjati.
Alle Gebiete, die bereits unter der Herrschaft des Königs standen, waren mit
Blattgold belegt.
„Hier sind wir, in Babylon, und hier sind die Mündungen von
Euphrat und Tigris.“ Er tippte auf die Mitte des Papyros. „Im Südwesten liegt
Ägypten und hier ganz im Osten Indien. Dazwischen erstreckt sich der Ozean –
und Arabien. Bislang wissen wir kaum etwas über dieses Land, nur dass es eine
Halbinsel sein muss. Ihre Größe und Gestalt sind unbekannt, deshalb ist die
Karte hier eher hypothetisch. Nun stell dir vor, wie sich die Welt verändern
wird, wenn ich überall an der arabischen Küste Städte gründe und Häfen anlegen
lasse!“
Paruschjati fuhr mit dem Finger über den Papyros und
zeichnete Linien zwischen den Punkten, auf die der König gezeigt hatte. Schiffe
aus Indien würden nach Arabien fahren und von dort weiter nach Babylonien oder
Ägypten. Von dort aus konnten die Waren, die sie transportierten, bis ins
westliche Meer gelangen und umgekehrt.
Vielleicht war es besser, nicht zu fragen – wozu die
Schatten wieder aufscheuchen? Schon seit Monaten wurde an einem monumentalen
Scheiterhaufen für Hephaistion gebaut, versammelten sich Künstler aus ganz
Griechenland in Babylon, um bei den geplanten Festspielen zu Ehren des
Verstorbenen aufzutreten. Alexander wartete nur noch darauf, dass die Gesandten
vom Orakel des Zeus Ammon zurückkehrten und ihm die Antwort überbrachten, dass
Hephaistion als Gott verehrt werden durfte. Sobald sie eintrafen, würde der
Scheiterhaufen entzündet, und die ersten Opfer für den neuen Gott konnten
dargebracht werden.
„Und dann der Westen“, fuhr der König fort. „Hier liegt
Sizilien und da Italien mit all ihren blühenden griechischen Städten. In
unserer Jugend hat Hephaistion immer davon geträumt, nach Westen zu segeln …
Auch diese Gebiete werden zu meinem Reich gehören, und damit sie auch auf dem Landweg
gut erreichbar sind, werde ich eine Straße entlang der Nordküste Libyens bauen
lassen.“ Sein Zeigefinger beschrieb einen schwungvollen Bogen, von Alexandreia
in Ägypten über Kyrene und Karchedon bis zu den Säulen des Herakles, durch die
man hinaus auf den westlichen Ozean gelangte.
„Du willst also wirklich die ganze Welt unter deiner
Herrschaft vereinen“, murmelte Paruschjati. Sie musterte die Bereiche der
Karte, die noch nicht golden schimmerten. „Du hast dir viel vorgenommen.“
„Ja, es gibt noch viel zu tun. Dabei kennen wir das
wirkliche Ausmaß der Erde noch nicht einmal. Wer weiß, welche Überraschungen
sich an den Rändern noch verbergen? Deshalb lasse ich zum Beispiel Schiffe auf
dem Kaspischen Meer bauen, ich möchte wissen, ob es sich um ein Binnenmeer
handelt oder um eine Bucht des Ozeans. Am wenigsten wissen wir wahrscheinlich
über Libyen. Als ich in Ägypten war, habe ich eine Expedition in den Süden
geschickt, die nach den Quellen des Nils suchen sollte. Irgendwann werde ich
den ganzen Kontinent umfahren lassen, dann werden wir wissen, wie weit er sich
nach
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