Die Perserinnen - Babylon 323
Süden erstreckt.“
Nein, sie würde lieber Aristobulos nach dem Vorfall fragen,
sobald er von seiner Arbeit im babylonischen Kanalsystem zurückkehrte. Immerhin
kannte sie den Ingenieur seit ihrer Kindheit.
Der König warf einen letzten Blick auf die Karte. „Es gibt
noch so viel zu tun.“ Ein Schatten fiel über sein Gesicht. „Und mir bleibt nur
so wenig Zeit.“
Babylon, 4. Panemos
Raukschana, meldete Farnakia früh am Morgen, war dabei, in
den Alten Palast umzuziehen, in den weitläufigen Trakt am westlichsten der fünf
Innenhöfe, der einst für den Hofstaat der ersten Königsgemahlin vorgesehen war.
Da der König nie irgendwelche Anstalten gemacht hatte, eine seiner Frauen in
diese begehrte Position zu befördern, hatten die Räume größtenteils leer
gestanden. Der Rest war von Hofbeamten in Beschlag genommen worden, die nun
kurzerhand vor die Tür gesetzt wurden, um Platz für Raukschanas Hofstaat zu
schaffen. Scharen von Bediensteten liefen den ganzen Morgen zwischen den beiden
Palästen hin und her und schleppten Raukschanas umfangreichen Hausrat hinüber.
„Raukschana lässt verlautbaren, ihr als zukünftiger
Königinmutter stünden auch die entsprechenden Gemächer zu“, beendete Farnakia
seinen Bericht.
Aspamithra presste missbilligend das Kinn gegen den Hals,
sodass sich sein ohnehin eindrucksvolles Doppelkinn noch vergrößerte. „Äußerst
schlechter Stil, so ein eigenmächtiger Umzug. Oberhofmeister Bagodara ist außer
sich. Natürlich hat es niemand für nötig befunden, ihn zu informieren.“
„Unglaublich, was diese Person sich herausnimmt“, schimpfte
auch Frataguna. „Nistet sich einfach im Alten Palast ein und spielt sich als
Königinmutter auf! Dabei ist ihr Kind noch nicht einmal geboren. Mich wundert,
dass sie nicht Sissingambris Gemächer für sich beansprucht hat.“
„Wer weiß, vielleicht hat sie das“, meinte Paruschjati. „Ich
würde es ihr zutrauen. Aber ein Gutes hat ihr Umzug: Wenigstens ist sie jetzt
weit weg von uns. Ich lege ohnehin keinen Wert darauf, ihr zufällig irgendwo
über den Weg zu laufen.“
Das Dasein im Krankenbett schlug Paruschjati allmählich auf
die Stimmung. Die Langeweile war unerträglich, und vom ewigen Liegen taten ihr
buchstäblich alle Glieder weh. Daher ignorierte sie Fratagunas und Mannujas
vereinten Protest, stand auf und ließ sich ankleiden. Sie befahl, einen Sessel
auf die sonnige Seite des Innenhofs zu stellen, und bestand sogar darauf, zu
Fuß dorthin zu gehen statt sich tragen zu lassen. Anfangs fiel das Gehen ihr
schwer; ihre Beine fühlten sich an wie aus Blei, doch mit jedem Schritt, den
sie tat, ging es besser. Das gab ihr neuen Mut, denn sie wusste, dass ihr und
Barsine nicht mehr viel Zeit bleiben würde.
Bald begann es, heiß zu werden, und doch tat es gut, endlich
wieder Tageslicht zu sehen und halbwegs frische Luft zu atmen. Paruschjati
schloss die Augen, genoss die Sonne und dachte an nichts, bis Barsine sich
melden ließ. Sie brachte Besuch mit: Nikobule, die Schwester des griechischen
Schriftstellers.
Kleitarchos, ließ Nikobule wissen, arbeitete an einem neuen
Buch. „Es wird ein wahrheitsgetreuer Bericht über Alexanders letzte Tage, ein
Thema, das auf breites Interesse stoßen dürfte. Aber es ist schwer, unter all
den Gerüchten die Wahrheit herauszufinden. Allein zu dem berüchtigten Gastmahl bei
Medios habe ich mindestens ein Dutzend verschiedene Versionen gehört. Ich habe
mich darüber mit Ephippos unterhalten, einem Kollegen von Kleitarchos. Noch vor
ein paar Tagen erging er sich in geheimnisvollen Andeutungen über eine
Verschwörung, deren Ausmaß jede Vorstellung übersteige. Dann war er einige Zeit
wie vom Erdboden verschluckt. Seit er wieder aufgetaucht ist, will er nichts
mehr von einer Verschwörung wissen.“
Paruschjati wechselte einen Blick mit Barsine. Offenbar war
der Schriftsteller doch nicht im Euphrat gelandet. „Du kennst Ephippos?“
„Ja, er wohnt im gleichen Gasthof wie mein Bruder und ich,
im Gasthof ‚Zur Gehenden Schlange‘. Das beste Haus in Babylon, sauber,
ordentlich, vernünftige Preise. Ihr habt Ephippos ebenfalls kennen gelernt?“
„Wir hatten das Vergnügen“, sagte Barsine. „Ist er
eigentlich eine vertrauenswürdige Quelle?“
Nikobule verzog das Gesicht. „Zumindest ist er ein amüsanter
Gesprächspartner. Sonst kann ich nicht viel Gutes über ihn sagen. Er ist
hauptsächlich an Klatsch und Skandalgeschichten interessiert, und dabei nimmt
er es mit der
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