Die Perserinnen - Babylon 323
das ist der Punkt: Es gibt keinen anderen Sohn, ob
legitim oder nicht, es gibt nur Herakles. Er lebt und ist gesund – warum
sollten die Makedonen ihm ein Kind vorziehen, das noch nicht einmal geboren
ist? Dabei weiß ich noch nicht einmal mit Sicherheit, ob ich überhaupt
schwanger bin.“
Frataguna bestand darauf, dass Paruschjati weiter das Bett
hütete, also ließ sie sich etwas zum Lesen bringen, das Buch von Nikobules
Bruder; inzwischen hatte sie es fast ausgelesen. Doch sie konnte sich nicht
konzentrieren und legte es bald wieder zur Seite. Es quälte sie, zur
Untätigkeit verurteilt zu sein, während draußen vor der Stadt die Entscheidung
fiel.
In der Nacht hatte sie von dem Krieg gegen die Kossäer
geträumt, und die Schreie der Frauen aus ihrem Traum vermischten sich in ihrer
Erinnerung mit dem Wehklagen der persischen Damen, die in Damaskos in
Gefangenschaft geraten waren. Wider Erwarten waren sie damals gut behandelt
worden, doch nicht alle Frauen, die den Weg des Königs gekreuzt hatten, hatten
so viel Glück gehabt. Nicht die Frauen von Tyros, nicht die von Persepolis oder
aus den ungezählten anderen Städten und Dörfern, die von seiner Armee zerstört
worden waren.
Die Kossäer allerdings hatte er schließlich doch noch
verschont. Als die Stammeskrieger ihre Frauen und Kinder in Gefangenschaft
sahen, hatten sie sich ergeben und gelobt, ihren räuberischen Lebensstil
aufzugeben. Der König nahm ihre Unterwerfung an, ließ die Gefangenen frei und
baute im Gebiet der Kossäer Festungen, die ihnen helfen sollten, ihr
Versprechen zu halten.
Paruschjati war erleichtert gewesen. Vielleicht war dies ein
Anfang, hatte sie gedacht, der Beginn eines Heilungsprozesses. Noch von
Ekbatana aus hatte Alexander eine Gesandtschaft nach Ägypten geschickt, um das
Orakel des Zeus Ammon in der Oase Siwah zu befragen, ob Hephaistion als Gott
verehrt werden dürfe – ein Ansinnen, das für Paruschjati als Perserin absurd
war und das sie nur mit seiner abgrundtiefen Verzweiflung erklären konnte.
Andererseits schien die Grenze zwischen Menschen und Göttern für die Griechen
weniger streng gezogen zu sein. Viele ihrer unzähligen kleinen Stadtstaaten
hatten sogar begonnen, dem König göttliche Ehren zu erweisen. So gesehen besaß
sein Vorhaben vielleicht doch eine innere Logik.
Sobald er mit der Armee und dem Hof nach Babylon
zurückgekehrt war, hatte er sich in die Vorbereitungen für eine Totenfeier
gestürzt, die alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen sollte.
Paruschjati hoffte, dass er dadurch endlich mit dem Tod seines Freundes
abschließen konnte.
Gleich nach ihrer Ankunft in Babylon hatte Raukschana mit
großem Getöse bekannt gegeben, dass sie ein Kind erwartete, und der Hofklatsch
hatte gezischt und gebrodelt wie ein überkochender Topf. Statira hatte sich
tagelang nicht außerhalb ihrer Gemächer blicken lassen, angeblich wegen einer
Erkältung, in Wirklichkeit aber aus Ärger. Zu ihrer Überraschung fühlte auch
Paruschjati einen scharfen Stich der Eifersucht, weil ausgerechnet die
Baktrierin als Erste schwanger geworden war. Dabei war sie selbst es jetzt, die
am häufigsten Besuch vom König erhielt.
„Du wirfst mir immer vor, dass ich dein Volk ohne jeden
Grund überfallen hätte“, sagte er eines Abends zu ihr.
„Vorwerfen ist nicht das richtige Wort“, erwiderte sie
versöhnlich. Sie hatte beschlossen, in Zukunft ein wenig diplomatischer
aufzutreten. „Die Tatsache an sich lässt sich allerdings nicht leugnen.“
Diplomatie musste ja nicht gleich darin ausarten, die Wahrheit zu verbiegen.
„Ihr Perser wart es doch, die mit den Feindseligkeiten
begonnen haben!“, rief er. „Deine Vorfahren haben Griechenland und Makedonien
überfallen, sie haben unsere Städte niedergebrannt und nicht einmal die Tempel
verschont.“
„Das ist mehr als hundertfünfzig Jahre her, warum könnt ihr
das nicht endlich vergessen?“, konterte Paruschjati. „Und überhaupt: Unsere
angeblichen Gräueltaten sind von den Griechen stark übertrieben worden. Eure
Behauptung, dafür Vergeltung üben zu wollen, war doch nur ein Vorwand, uns
mitten im Frieden zu überfallen. So war es übrigens schon beim Trojanischen
Krieg, auch da habt ihr Griechen, angeblich weil Helena …“
„Schon gut, schon gut“, wehrte Alexander ab, der immer
schnell begriff, wann jemand die besseren Argumente hatte. „Auf jeden Fall
haben die Völker Europas und Asiens hundertfünfzig Jahre lang ihre Kräfte
darauf verschwendet,
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