Die Perserinnen - Babylon 323
er hat sich für Raukschanas Sohn entschieden. Jedes
andere Kind des Königs, geboren oder ungeboren, ist eine Gefahr für ihn, denn
er muss fürchten, dass einer seiner zahllosen Rivalen ihm in seinem Namen die
Macht streitig macht. Deswegen ist es für uns alle zu gefährlich, in Babylon zu
bleiben.“ Paruschjati zögerte einen Augenblick. Sie würde Barsine nicht
verraten, aber ihr fiel ein, dass sie Sissingambri versprochen hatte, auf
Statira achtzugeben. Wenn sie schon nicht von der alten Frau Abschied nehmen
konnte, dann wollte sie wenigstens ihr Versprechen halten. Also fügte sie
hinzu: „Ich werde die Stadt noch heute Nacht verlassen. Wenn du klug bist, tust
du dasselbe.“
„Und mein Sohn?“, rief Statira. „Soll ich fliehen und ihn
dadurch um sein Geburtsrecht bringen? Niemals! Ich werde für ihn kämpfen!“
„Angenommen, du hättest recht“, begann Drupati, ohne Statira
zu beachten. „Wohin sollte sich meine Schwester wenden? Wer könnte ihr Schutz
bieten, wenn Perdikkas sie und ihr Kind vernichten will?“
„Sie sollte zu Amaschtri fliehen“, antwortete Paruschjati.
„Eure Cousine ist mit Ihrem Mann auf dem Weg nach Makedonien, außer Reichweite
von Raukschana und Perdikkas. Krateros ist keiner von Perdikkas’ Lakaien, und
er besitzt genügend Macht, um Statira zu schützen. Bei ihm wäre sie sicher.“
„Ein guter Rat!“, sagte Drupati zu Statira, und in ihren
Augen leuchtete ein Hoffnungsschimmer auf, der dort zuvor nicht gewesen war.
„Jeder weiß, dass Krateros für uns Parsa nicht viel übrig hat, aber er würde
niemals eine Frau abweisen, die ihn um Hilfe bittet. Er ist ein Ehrenmann.
Sogar Hephaistion hat das zugegeben, obwohl er ihn hasste. Paruschjati hat
recht, wir sollten so schnell wie möglich zu Amaschtri und Krateros fliehen.“
„Und zulassen, dass mein Sohn um seine Rechte betrogen
wird?“ Störrisch schüttelte Statira den Kopf. „Nein, ich werde niemals feige
die Flucht ergreifen, wie mein Vater es getan hat.“
Drupati gab ein halb unterdrücktes Keuchen von sich. Statira
hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund, doch es war zu spät, die Worte
waren heraus. „Jetzt ist es ohnehin egal – warum es nicht offen aussprechen?
All die Jahre haben wir geschwiegen. Mein Vater ist damals davongelaufen, aber
ich werde nicht den gleichen Fehler machen wir er. Ich bin die Nachfahrin von
Großkönigen, die dreihundert Jahre über die Welt geherrscht haben! Ich sollte
die Mutter des neuen Königs sein. Ich, nicht diese unbedeutende Frau aus
Baktri. Und dafür werde ich kämpfen!“
Drupati schien in sich zusammenzusinken, und ein Schleier
senkte sich über ihre Augen. „Gut, wenn du es so willst“. Sie legte ihrer
älteren Schwester beschützend den Arm um die Schultern. „Dann gehen wir heute
Abend gemeinsam zu Raukschana.“
Erschüttert starrte Paruschjati sie an. „Wenn deine
Schwester schon nicht auf mich hören will, dann tu wenigstens du es! Ich
beschwöre dich: Gehe nicht mit zu Raukschana!“
„Ich lasse meine Schwester nicht im Stich. Und sie hat
recht: Wir sind die Nachfahrinnen von Großkönigen. Wir werden nicht kampflos
aufgeben, sondern Raukschana mutig die Stirn bieten und dadurch die Ehre
unserer Familie wiederherstellen. Alles ist besser als ein Leben als Feigling.
Glaub mir, ich weiß wovon ich rede.“
Unwillkürlich erfasste Paruschjati den Sinn hinter Drupatis
Worten, sie erkannte es an dem traurigen Zug um ihre Augen. Der jungen Frau war
bewusst, dass sie und ihre Schwester sich in große Gefahr begaben, doch sie
hatte schon lange mit dem Leben abgeschlossen. Paruschjati erkannte, dass sie
die beiden Schwestern nicht retten konnte. Sie stand auf.
„Ich bete zu Ahura Mazda und den anderen Göttern, dass ich
mich irre.“
„Mach dir keine Sorgen um uns“, sagte Drupati und lächelte,
während sie und Statira sich ebenfalls erhoben.
Auch Statira lächelte. „Wir werden bei Raukschana einfach
nichts essen. Dann kann uns gar nichts passieren.“
Als Paruschjati in ihre Gemächer zurückkehrte, erwartete sie
eine Überraschung. Gambija wartete dort, völlig in Tränen aufgelöst und
gleichzeitig ungeheuer aufgebracht. Frataguna und Faiduma saßen rechts und
links von ihr und bemühten sich mit vereinten Kräften, sie zu beruhigen.
„Soll er doch diese makedonische Ziege heiraten!“,
schluchzte Gambija. „Ich hoffe, sie ist genauso ein Ekel wie ihr ziegenbärtiger
Bruder, dann passen die beiden hervorragend zueinander. Ich habe
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