Die Perserinnen - Babylon 323
Einspruch zu
erheben.
„Sie ist deine Freundin seit deiner Kindheit, und ich weiß,
wie viel sie dir bedeutet“, sagte Frataguna. Mehr als ich selbst, deine
eigene Schwester.
Die Worte, obwohl unausgesprochen, schwebten in der Luft,
Paruschjati las sie aus Fratagunas wehmütigem Lächeln heraus. Sie umarmte sie
und küsste sie auf die Wange. „Glaub nicht, dass du mir weniger wichtig bist.
Du bist meine Schwester!“
Mitten in der Nacht machte sie sich auf den Weg. Sie nahm
nur Farnakia und Artaschura mit. Sie wusste, es war gefährlich, und je weniger
Aufsehen sie erregte, desto besser. Auch die beiden Eunuchen, die in einiger
Entfernung vom Landesteg Wache hielten, schienen die Gefahr zu spüren. Farnakia
ließ seinen Blick wachsam über den Kai wandern, doch Artaschura blickte
unverwandt zu Paruschjati herüber; der junge Eunuch wirkte unruhig, fast
verwirrt. Sobald Paruschjati in ihre Gemächer zurückkehrte, würde sie sich von
Frataguna und Faiduma verabschieden und sich danach von Vidarna zu Gambijas Haus
bringen lassen.
Paruschjati ging vor Herakles in die Hocke und drückte ihn
an sich. Normalerweise war der Junge von solchen Zärtlichkeiten nicht sehr
erbaut, doch diesmal schien er zu spüren, dass ein Abschied bevorstand. Er
hatte schon die Umarmungen seiner zahllosen Tanten, Onkel und Halbgeschwister
über sich ergehen lassen, und auch jetzt blieb er für seine Verhältnisse
ungewohnt duldsam. Schließlich ließ Paruschjati ihn los und blickte ihm ins
Gesicht, als sehe sie ihn zum letzten Mal, was durchaus der Fall sein konnte.
Wieder einmal staunte sie, wie ähnlich er seinem Vater war.
„Kommst du uns besuchen?“, fragte Herakles.
„Ja, wenn ich kann.“
„Das ist gut. Mama braucht dich nämlich.“
Er drehte sich entschlossen um und marschierte an der Hand
seiner Kinderfrau über den Landesteg. Kurz bevor er an Bord ging, wandte er
sich noch einmal um und winkte ihr zu. Trotz der Dunkelheit konnte sie sein
Lächeln sehen. Es war ein strahlendes Lächeln, das Paruschjati einen Stich
versetzte. Schlagartig wurde ihr klar, dass sie in diesem Augenblick endgültig
Abschied vom Vater des Jungen nahm.
„Kinder und Verrückte sagen stets die Wahrheit.“ Barsine
löste sich aus dem dichten Pulk ihrer Verwandten und kam zu Paruschjati
herüber. „Ich werde dich tatsächlich schrecklich vermissen.“
Ihre ganze Familie war da, die einen, um sie zu begleiten,
die anderen, um Abschied zu nehmen. Auf dem Kai wimmelte es geradezu von ihnen.
Kaufan und die anderen Brüder würden Barsine nach Pergamon eskortieren, mit
Ausnahme von Ilioneus. Er und Stratokles blieben hier, ebenso Artakama,
Artaunisch und Ilissa, deren Männer in Babylon waren.
„Möchtest du es dir nicht doch noch einmal überlegen und mit
mir kommen?“ Barsine hatte Tränen in den Augen, doch nun setzte sie ein
tapferes Lächeln auf. „In Pergamon wärest du genauso sicher wie in Medien, und
wir beide könnten zusammen sein.“
Paruschjatis Herz wurde schwer wie Stein. „Ich wünschte, ich
könnte, aber ich muss an mein Kind denken. Sollte es ein Junge werden, dann
sind seine Aussichten, einen Platz im Leben zu finden, im Osten besser als im
Westen. Dort wäre er nur ein Fremder. Ich muss an ihn denken, nicht an mich.
Bitte vergib mir.“
„Du brauchst dich nicht zu entschuldigen, ich verstehe dich.
In Gedanken werde ich immer bei dir sein. Ich wünsche dir alles Glück dieser
Welt für dein neues Leben – und“, sie blinzelte Paruschjati zu, „wenn es so
weit ist, ein gesundes Kind und eine leichte Geburt.“
Sie breitete die Arme aus, und Paruschjati warf sich hinein.
„Auch ich werde immer an dich denken. Ahura Mazda und die anderen Götter mögen
dich und Herakles beschützen.“ Sie hielten sich eine lange Zeit umschlungen,
ehe sie sich wieder voneinander lösten.
Barsine sagte: „Ich glaube fest daran, dass wir uns eines
Tages wiedersehen. Die Zukunft ist unergründlich, wer weiß, welche
Überraschungen sie für uns birgt?“
Sie umarmte ein letztes Mal ihre Schwestern, puffte Ilioneus
und Stratokles in die Rippen (Stratokles war vermutlich der mit der verdächtig
roten Nase; es war immer schwer, sich von seiner Mutter zu trennen) und schloss
ganz zum Schluss ihre Tochter in die Arme. Ilissa stand weinend am Landesteg,
während ihre Mutter an Bord ging. Dann wurde die Planke eingeholt, die Ruderer
stießen die Barke vom Kai ab und steuerten sie hinaus auf den Fluss. Als sie
fast in der Mitte war, setzten die
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