Die Perserinnen - Babylon 323
aber
nicht mit Frataguna. Sie ist meine Schwester – wie muss sie sich jetzt fühlen!
Schließlich ergriff wieder Vidarna das Wort. „Wenn du also
unbedingt fliehen willst, dann geh wenigstens zu Atarepata. Er ist Kschatrapavan
von Mada und bei den Arija im Osten hoch angesehen. Solltest du einen Sohn
bekommen, könnte Atarepata für seine Ansprüche eintreten. Dein Sohn würde im
königlichen Palast von Hangmatana aufwachsen, dort hätte er noch immer eine
Chance, eines Tages König zu werden! Eben hast du gesagt, dir geht es nur um
deinen Sohn – wenn das so ist, dann nimm ihm nicht alle Hoffnung auf eine
Zukunft, die seiner würdig ist!“
Paruschjati presste die Hände an die Schläfen. Ihr schwirrte
der Kopf. Ihr Herz drängte sie immer noch, mit Barsine in den Westen zu gehen.
Sie wusste, sie würde dort nicht nur in Sicherheit sein – dort konnte sie auch
ein zufriedenes, erfülltes Leben führen. Sie würde mit Barsine zusammen sein,
sie beide hatten so viel gemeinsam ...
Aber in einem Punkt hatte Vidarna recht: Nur im Osten hatte
ihr Sohn eine wenn auch geringe Chance, eines Tages doch noch König zu werden.
Atarepata würde seine Pflicht gegenüber der Familie seiner Frau erfüllen und
für die Rechte seines Neffen einstehen. Doch das hätte zur Folge, dass auch er
früher oder später in die Machtkämpfe der Eroberer verstrickt werden würde.
Wenn Perdikkas, woran jetzt kein Zweifel mehr bestehen konnte, entschlossen
war, jeden potenziellen Thronanwärter aus dem Weg zu räumen, dann würde Paruschjati
nicht nur Atarepata, sondern auch Parmusch und ihre ganze Familie in Gefahr
bringen, wenn sie zu ihnen floh. Das war mit Sicherheit das Letzte, was sie
wollte.
Doch da waren noch die Männer aus dem Osten, die über Apama
an Paruschjati herangetreten waren. Sie hatte nichts mehr von ihnen gehört,
vielleicht waren sie unter den Leichen im Apadana gewesen. Doch Bisthans Worten
hatte sie entnommen, dass es zwei verschiedene Fraktionen gab. Wenn das
stimmte, dann lebten einige der Verschwörer aus dem Osten vielleicht noch, und
dann musste Paruschjati unbedingt Kontakt zu ihnen aufnehmen. Sie beschloss,
Apama eine Nachricht zu schicken.
„Lass meine persönlichen Sachen zusammenpacken“, sagte sie
zu Mannuja. „Wir werden noch heute Nacht aufbrechen. Ich nehme nur das Nötigste
mit. Aspamithra soll einigen vertrauenswürdigen Eunuchen und Dienerinnen
Anweisung geben, sich bereitzuhalten. Der Rest meines Hofstaats bleibt hier.
Niemand darf merken, dass ich zu fliehen beabsichtige.“
„Und wohin gehen wir?“, fragte Vidarna gespannt.
„Ich werde bald eine Entscheidung treffen.“
Meleagros hatte sich nicht unter den Unglücklichen befunden,
die von den Elefanten zertrampelt worden waren. Mit einer Handvoll verbliebener
Anhänger war es ihm gelungen, sich zu einem Tempel durchzuschlagen und dort um
Asyl zu bitten. Doch wie Paruschjati Perdikkas und seine Spießgesellen
einschätzte, würde Meleagros das nichts nützen. Und tatsächlich, es dauert
nicht lange, bis bekannt wurde, dass Perdikkas seinen Erzfeind wider alles
Recht aus dem Tempel zerren und hinrichten lassen hatte.
Der Bote, den Paruschjati zu Apama geschickt hatte, hatte
sie nicht in ihrem Haus angetroffen – angeblich ein Besuch bei Verwandten auf
dem Land. Niemand konnte (oder wollte) verraten, wann mit ihrer Rückkehr zu
rechnen war. Paruschjati war verzweifelt. Langsam wurde die Zeit knapp, doch
ehe sie nichts von Apama gehört hatte, konnte sie keine Entscheidung treffen.
Am Nachmittag ließ Paruschjati den Tragsessel holen und sich
damit zu Sissingambris Gemächern befördern. Sie musste unbedingt Abschied von
der alten Frau nehmen, denn sie hatte das sichere Gefühl, dass sie einander
niemals wiedersehen würden, wenn sie Babylon erst einmal verlassen hatte. Umso
herber war ihre Enttäuschung, als sie wieder einmal nicht vorgelassen wurde.
Wenigstens machte sich Statira diesmal selbst die Mühe, sie abzuweisen.
Statira empfing Paruschjati zusammen mit ihrer Schwester in
einem von Sissingambris Empfangsräumen. „Die Königinmutter ist unpässlich“,
sagte sie mit der für sie typischen Geziertheit.
Paruschjati atmete tief durch, ehe sie antwortete. „Ich
weiß, dass sie schon seit einiger Zeit krank ist, aber es ist dringend. Ich
verspreche, dass ich sie nicht lange stören werde.“
„Sie hat Anweisung gegeben, niemanden vorzulassen.“
„Bitte lass ihr Bescheid geben, dass ich hier bin. Ich bin
sicher, sie ist
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