Die Perserinnen - Babylon 323
verheeren. Begonnen hatte das alles noch in dem Jahr, in dem Arescha
ermordet worden war, und deshalb hatte zunächst niemand besonders Notiz davon
genommen – der Hof und die Kschatrapavan hatten andere Sorgen gehabt als ein
paar Grenzquerelen im äußersten Nordwesten des Reichs. Doch dann hatte
Darajavahusch den Thron bestiegen, und sobald er Bagauva losgeworden war, hatte
er Truppen in den Westen entsandt, die die Barbaren nach und nach wieder
vertrieben hatten.
Zwei Jahre später kehrten die Jauna zurück, mit einer noch
größeren Streitmacht, und dann ging alles schneller, als jeder erwartet hatte.
Kaum hatte man in Schuscha von der Invasion erfahren, traf auch schon die
Nachricht ein, dass die Jauna die Kschatrapavan im Westen besiegt und deren
Streitmacht in alle Winde zerstreut hatten. Plötzlich redeten alle nur noch vom
Krieg. Der Hof zog von Schuscha nach Babiru, um näher am Zentrum der Ereignisse
zu sein.
Für Paruschjati war der Krieg zunächst nur deswegen
bemerkenswert, weil sie Frataguna wiedersah, denn Vidarna, der gegen die
Eindringlinge kämpfte, hatte seine Familie an den Hof des Großkönigs gesandt.
Eines Tages brachte Frataguna eine Dame mit zu Besuch, die sie als Barschina
vorstellte, Tochter von Artavazda, einem früheren Kschatrapavan im Westen.
„Barschinas Großmutter Apama war eine Tochter des Großkönigs
Artakschatra“, sagte Frataguna zu Paruschjati. „Nicht von unserem Vater,
sondern unserem Großvater. Sie ist also eine nahe Verwandte von uns.“
„Das stimmt.“ Barschina lächelte den beiden Schwestern zu.
„Ihr beide seid Enkelinnen des alten Großkönigs Artakschatra, und ich bin seine
Urenkelin. Dabei bin ich doch viel älter als ihr – seltsam, nicht?“
Barschinas Lächeln war ansteckend. Dabei war sie gar nicht
so viel älter, jedenfalls nicht als Frataguna. Sie hatte ein apartes,
dreieckiges Gesicht, ihr Haar war nicht dunkel wie das der meisten Frauen, die
Paruschjati kannte, sondern von einem hellen Braun, das in der Sonne rötlich
glänzte. Ihre Augen schillerten in exotischen Braun- und Grüntönen. Barschinas
Mann, erzählte sie, befehligte im Westen die Truppen im Krieg gegen die Jauna.
„Ich dachte, der Großkönig zieht selbst gegen die Jauna“,
sagte Paruschjati.
„Das ist nicht nötig“, erwiderte Barschina. „Mein Mann ist
ein großer Feldherr, er wird an seiner Stelle die Eindringlinge besiegen.“
„Wenn er so ein großer Feldherr ist, warum sind unsere
Krieger dann von den Jauna besiegt worden?“
„Paruschjati!“, rief Damaspia entsetzt.
Ungerührt erwiderte Barschina: „Das war nicht seine Schuld.
Er hat die Kschatrapavan im Westen ausdrücklich davor gewarnt, sich auf eine
offene Schlacht einzulassen. Sein Plan war, die Eindringlinge weiter ins Land
zu locken und dann alles auf ihrem Weg zu verwüsten, damit sie weder Proviant
für sich selbst noch Futter für die Pferde fanden. So wäre das ganze Heer der
Jauna elend umgekommen. Doch die Kschatrapavan wollten nicht auf ihn hören.
Jetzt, nach ihrer Niederlage, wird der Großkönig meinen Mann zum
Oberbefehlshaber aller Streitkräfte im Westen ernennen, und dann wird er die
Jauna ein für alle Mal vertreiben.“
„So?“, hakte Paruschjati nach. „Warum hat er dann seine
Familie nach Babiru in Sicherheit gebracht?“
Empört sagte Damaspia: „Paruschjati, du bist ungezogen und
vorlaut, und wenn du dich nicht endlich benimmst …“
„Schon gut“, erwiderte Barschina. „Memnon hat uns nicht nach
Babiru geschickt, weil er Angst um uns hat, sondern um dem Großkönig seine
Ergebenheit zu beweisen. Er hat alle verbliebenen Truppen und Schiffe in
Halikarnassos zusammengezogen, einer Stadt am westlichen Meer, er wird sie den
Winter über gegen Alexander verteidigen, und im Frühjahr …“
„Alexander? Wer ist das?“, fragte Paruschjati.
„Der König der Jauna. Sobald das Frühjahr kommt, wird Memnon
mit seinen Schiffen ihre Heimat angreifen. Wenn Alexander hört, dass der Feind
in seinem Rücken steht, muss er umkehren, und der Krieg ist zu Ende.“
Paruschjati wusste nicht, wo genau dieses Hali-sowieso lag
und warum es so wichtig war, aber der Plan, den Barschinas Mann sich ausgedacht
hatte, kam ihr vielversprechend vor.
„Memnon …“, überlegte Damaspia inzwischen. „Was ist das für
ein Name?“
„Ein Jauna-Name.“
„Man hat dich gezwungen, einen Jauna heiraten?“ Damaspia konnte
ihr Entsetzen kaum verbergen.
„Ach, ich bin selbst eine halbe Jauna“,
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