Die Perserinnen - Babylon 323
Schnur, und die andere schwankte ein wenig unter der
Last des Tabletts.
„Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, weil du nicht auf dem
Abschiedsfest für Nearchos warst.“ Paruschjati musterte die alte Frau besorgt.
„Ist es wirklich nur die Hitze?“
„Die Hitze und das Alter.“
Die Dienerin mit dem dünnen Zopf hielt umständlich einen der
beiden Becher in die Höhe, während die andere die Kanne hob und den Wein in
elegantem Bogen hineinlaufen ließ. Der Strahl glitzerte golden und perlte leicht.
Ein intensiver Duft verbreitete sich.
„Vorgestern habe ich jemanden geschickt, der sich nach
deinem Befinden erkundigen sollte. Er kam unverrichteter Dinge zurück, und
gestern, als ich dich persönlich besuchen wollte, haben deine Eunuchen mich
nicht vorgelassen.“
„Ich weiß, Vahauka hat es mir gesagt.“ Der Junge hatte sein
Versprechen gehalten. Gleich nach dem Frühstück war ein Eunuch der
Königinmutter bei Paruschjati erschienen mit einer persönlichen Einladung. „Ich
fürchte, meine Eunuchen waren sehr unhöflich. Ich wusste nicht, dass sie dich
abgewiesen haben, nicht einmal, dass du dich nach meinem Befinden erkundigt
hast. Als Vahauka es mir sagte, habe ich ein Wörtchen mit den Eunuchen geredet.
Noch bin ich nicht tot!“
Paruschjati lächelte diplomatisch und erwiderte nichts. Sie
konnte sich denken, wer hinter der Abschottungspolitik der Eunuchen stand. Die
beiden Dienerinnen waren inzwischen fertig. Sissingambri und Paruschjati nahmen
die gefüllten Becher entgegen und tranken. Der Wein war noch ein wenig schaumig
vom Eingießen und duftete, und was das Beste war, er war angenehm kühl.
„Nimm es Statira nicht übel“, sagte Sissingambri. „Sie ist
kein schlechter Mensch. Eingebildet, eitel und oberflächlich, aber nicht
schlecht. Sie könnte keiner Fliege etwas zuleide tun. Aber was ist mir dir?“,
wechselte sie das Thema, wobei sie ihr Gegenüber aufmerksam musterte. „Du
siehst mitgenommen aus!“
Zum ersten Mal seit Tagen hatte Paruschjati morgens beim
Aufwachen keinerlei Übelkeit verspürt. Sie hatte ihr Glück kaum fassen können
und sich mit Heißhunger auf alles Essbare gestürzt. Danach war sie wie auf
Schwingen zu Sissingambris Gemächern gewandelt. Wenn sie trotz ihres
Hochgefühls immer noch mitgenommen aussah, dann musste sie zuvor einen wahrhaft
elenden Anblick geboten haben. Sie warf einen Blick in die Runde. Die beiden
Dienerinnen hatten sich zurückgezogen, aber man konnte nie wissen, wer sich in
Hörweite befand.
„Mir war ein paar Tage lang morgens ein wenig übel, „aber
heute geht es mir wieder gut.“
„Das freut mich zu hören“, sagte Sissingambri zweideutig und
lächelte auf eine Weise, die sogar dreideutig war. Die alte Königin hatte einen
stark entwickelten Sinn für Takt und Diskretion. Sie sah sich ebenfalls um, und
plötzlich fiel ein Schatten über ihr Gesicht. „Der Neue Palast wirkt immer so
abgeschieden und friedlich, aber man darf sich dadurch nicht täuschen lassen.
Diese Mauern haben viel Böses gesehen. Vor langer Zeit lebte hier einmal die
Mutter eines Großkönigs in der Verbannung, hier in diesen Räumen. Sie trug den
gleichen Namen wie du. Wenn ich richtig rechne, war sie deine Urgroßmutter.“
„Ich habe von ihr gehört.“ Paruschjatis gleichnamige
Vorfahrin hatte nicht nur viele Menschen hinrichten lassen, sie war auch
berüchtigt gewesen für die unbeschreiblich grausamen Todesarten, die sie
ausgetüftelt hatte. „Sie soll auch die Frau ihres Sohnes ermordet haben. Stimmt
eigentlich die Geschichte mit dem vergifteten Messer?“
„Ich fürchte, sie stimmt. Die alte Paruschjati war
eifersüchtig auf ihre Schwiegertochter Statira wegen deren Beliebtheit beim
Volk, vor allem aber wegen des Einflusses, den sie beim Großkönig hatte. Nichts
aber war Paruschjati so wichtig wie die Macht.“
Schon als Kind hatte Paruschjati die Geschichte gehört.
Eines Tages hatte ihre Vorfahrin Statira zum Essen eingeladen. Sie wusste, dass
ihre Schwiegertochter ihr misstraute, deshalb bestrich sie die Klinge eines
Messers auf einer Seite mit Gift. Während des Essens schnitt sie damit eine
gebratene Wachtel durch. Die vergiftete Hälfte gab sie Statira, die andere aß
sie vor deren Augen. Da fühlte sich Statira sicher und aß ebenfalls. Sie starb
nach Tagen voller Qualen. Der Großkönig hatte seine Mutter daraufhin für Jahre
nach Babiru verbannt.
„Paruschjatis Sohn war schwach, und sie wusste, wie sie
seine Schwäche ausnutzen konnte“,
Weitere Kostenlose Bücher