Die Perserinnen - Babylon 323
Sie
spricht ihre Sprache, dachte Paruschjati überrascht. Natürlich, es ist
die Sprache ihrer Mutter.
Mit einem Satz landete der Mann vor ihnen im Sand. „Das ist
Aristobulos“, stellte Barschina ihn vor. „Er ist hier der leitende Ingenieur.“
Paruschjati schielte zu ihrer Mutter. Eigentlich war es
ungehörig, sich mit jemandem wie diesem Jauna abzugeben, doch Damaspia machte
keine Anstalten einzuschreiten. Wahrscheinlich wollte sie nicht unhöflich
gegenüber Barschina sein. Parmusch dagegen machte aus ihrem Missfallen keinen
Hehl, aber sie war eben nicht Paruschjatis Mutter. Sie hatte ihr nichts zu
sagen, jedenfalls nicht, wenn Damaspia dabei war.
„Heißt das, er hat diese Brücke gebaut?“, fragte Paruschjati
Barschina.
„Nicht nur gebaut“, antwortete der Jauna, „sondern auch
entworfen und geplant.“
Erstaunt nahm Paruschjati zur Kenntnis, dass Aristobulos
hervorragend Persisch konnte. Er war der erste Jauna, mit dem sie sprach. Sein
Haar und sein kurz geschorener Bart waren kupferrot, in Kontrast zu seinen
hellblauen Augen – Farben, die Paruschjati noch nie zuvor bei Haaren und Augen
gesehen hatte. Außerdem war Aristobulos viel jünger, als sie es bei einem Mann
mit so großer Verantwortung erwartet hatte.
„Hast du keine Angst, dass deine Brücke vom Wasser
davongespült werden könnte?“, fragte sie ihn.
„Nein, die Konstruktion ist stabil.“
„Und wenn das Heer des Großkönigs kommt? Kann die Brücke die
vielen Menschen und Pferde tragen?“
„Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, sie wird halten.
Alles eine Frage der Statik, es ist nur wichtig, dass die Berechnungen
stimmen.“
„Berechnungen.“ Paruschjati hatte keine Ahnung, wovon der
Jauna sprach.
„Mathematische Berechnungen. Du kannst doch rechnen, oder?
Komm, ich erkläre es dir!“ Aristobulos lächelte verwegen, seine blauen Augen
blitzten. „Isst du gerne Äpfel? Ja? Dann stellt dir vor, du machst eine Reise.
Wenn du jeden Tag einen Apfel essen willst, kannst du genau berechnen, wie
viele Äpfel du mitnehmen musst. Dauert die Reise fünf Tage, brauchst du fünf
Äpfel, bei zehn Tagen sind es zehn und so weiter. Willst du jeden Tag zwei
Äpfel essen, brauchst du entsprechend mehr.“
„Das ist einfach. Aber bei Brücken ist es doch sicher
komplizierter.“
„Natürlich, aber das Prinzip ist das gleiche: Man kann genau
ausrechnen, wie stark die Konstruktion sein muss, wenn sie bestimmten
Belastungen standhalten soll. Man muss nur wissen, wie es geht, dann ist alles
ganz einfach.“
Paruschjati schwante plötzlich, dass es mehr zu wissen gab,
als sie je geahnt hatte. Und außerdem: Es musste sehr praktisch sein, wenn man
fremde Sprachen beherrschte, denn dann konnte man sich mit den interessantesten
Menschen unterhalten …
Von der Uferböschung drang gedämpfter Gesang herab, und alle
drei wandten sich um. Menschen und Pferde erschienen auf der Anhöhe und
schritten in feierlicher Prozession zum Flussufer herunter – weiß gekleidete
Magusch, die eine Hymne sangen; sie geleiteten einen von weißen Pferden
gezogenen Wagen mit einem Feueraltar aus Silber.
Das heilige Feuer, das Ahura Mazdas Segen verkörperte! Das
Feuer, das für den Großkönig brannte und ihn beschützte und mit ihm das ganze
Reich der der Parsa! Flammen von ihm loderten in allen Feuertempeln des Reichs.
Aristobulos und seine Brücke waren vergessen. Paruschjati schwieg ehrfurchtsvoll,
erfüllt von der Präsenz des Heiligen.
Die Prozession machte vor der die Brücke halt, die Magusch
verstummten. Einige von ihnen betraten die hölzerne Straße und schritten hinaus
auf den Fluss. In einiger Entfernung von Ufer blieben sie stehen, wohl, um ein
Gebet an die Gottheit des Flusses zu sprechen und ihren Segen zu erbitten, wenn
das Heer ihn überquerte. Schließlich hob der Älteste der Magusch eine goldene
Schale empor, hielt sie der Morgensonne entgegen, die das Metall zum Gleißen
brachte. Dann ließ er das Gefäß in die Fluten fallen, als Gabe für das
Göttliche in ihnen.
Die Magusch nahmen ihre Hymne wieder auf, der Wagen mit dem
Feueraltar setzte sich in Bewegung und rollte auf die hölzerne Brücke, wo seine
Räder ein dumpfes Poltern erzeugten. Paruschjati blickte dem segenspendenden
Feuer nach, wie es sich immer weiter entfernte.
„Sie kommen!“, rief Parmusch oben auf der Böschung
aufgeregt. Barsine und Paruschjati verabschiedeten sich von Aristobulos,
stiegen auf ihre Pferde und ritten zurück zu den anderen Frauen.
Obwohl
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