Die Perserinnen - Babylon 323
die Frage
der Nachfolge bisher ungeklärt.“
„Aber der König hat doch einen Sohn“, rutschte es Faiduma
heraus, „den kleinen Herakles.“
Atalante warf ihr einen so vernichtenden Blick zu, dass das
Mädchen regelrecht in sich zusammensackte. Es war klar, dass Faiduma zum Rest
des Gesprächs kein Wort mehr beisteuern würde.
„Ach ja, Barsines Sohn.“ Atalante machte eine Bewegung wie
jemand, der Kuchenkrümel vom Tisch fegt, aber bei ihr sah es aus, als schlage
sie jemandem den Kopf ab. „Allerdings ist Barsine nicht offiziell mit Alexander
verheiratet. Roxane ist im achten Monat, aber niemand kann wissen, ob sie einen
gesunden Sohn zur Welt bringt. Also ist es eine nahe liegende Frage, ob
vielleicht noch von anderer Seite ein möglicher Erbe zu erwarten ist. In den
letzten Tagen gab es gewisse Gerüchte, was deine Person betrifft. Deshalb habe
ich mich bei dir nach einer eventuellen Schwangerschaft erkundigt. Aus Sorge um
das Wohlergehen des Reiches, nicht etwa, weil ich aufdringlich sein wollte.“
Irgendwie brachte es Atalante tatsächlich fertig, ihre
Schnüffelei in vorteilhaftem Licht erscheinen zu lassen. Es irritierte
Paruschjati, wie genau die Makedonin über ihr Befinden informiert war –
womöglich hatte auch sie wie Apama einen Spitzel in ihren Haushalt
eingeschleust. „Ich nehme an, du bist im Auftrag deines Bruders hier.“
„Aber ja.“ Da bloßes Abstreiten ohnehin nicht glaubwürdig
gewesen wäre, trat Atalante die Flucht nach vorn an. „Es wäre doch taktlos,
wenn er persönlich an dich herantreten würde. Manche Dinge bespricht man besser
unter Frauen, zumal wir beide auch noch verschwägert sind.“ Sie warf Gambija
einen Blick zu, und die junge Frau lächelte wie auf Kommando. Sie hatte bisher
noch keinen Ton von sich gegeben. Es war offensichtlich, dass Atalante sie nur
als Türöffner mitgebracht hatte.
„Ich verstehe immer noch nicht, worauf du hinauswillst“,
sagte Paruschjati.
„Dann will ich deutlicher werden. Was wäre, wenn dem König
auf dem Feldzug oder in den Jahren danach etwas zustoßen sollte? Natürlich
handelt es sich um ein hypothetisches Problem“, beteuerte Atalante. „Nehmen wir
an, Roxane bekommt einen Sohn und du ebenfalls …“
„… rein hypothetisch natürlich …“
„… und Stateira möglicherweise auch. Dann hätten wir drei potenzielle
Anwärter auf die Nachfolge. Mit Herakles wären es sogar vier. Jeder von ihnen
mit einer anderen Mutter, aber keiner davon regierungsfähig. Du weißt, was dann
passieren würde – Parteien würden sich bilden, jede würde versuchen, ihren
jeweiligen Kandidaten auf den Thron zu hieven, um dann in seinem Namen zu
regieren. Die Geschichte meines Volkes ist voll von solchen Machtkämpfen, und
bei euch Persern war es auch nicht anders. Du selbst musst doch am besten
wissen, dass manche Menschen beim Kampf um die Macht selbst vor dem Mord an
Frauen und Kindern nicht zurückschrecken.“
Paruschjati erwiderte nichts. Atalante hatte genau ihren
wunden Punkt getroffen, und sie benötigte Zeit, um die Panik, die in ihr
aufstieg, unter Kontrolle zu bringen. Zumindest in einem Punkt konnte
Perdikkas’ Schwester bereits einen Erfolg verbuchen: Paruschjati war nun trotz
aller Vorbehalte bereit, ihr weiter zuzuhören.
Atalante fuhr fort: „Sicher sind wir uns einig, dass ein
solches Blutbad um jeden Preis verhindert werden muss. Jemand muss die
Initiative ergreifen, damit die Nachfolge in geregelten Bahnen verläuft.
Jemand, der über die nötige Autorität verfügt. Jemand, der im Fall eines Falles
für den jungen König regieren kann und das Reich seines Vaters für ihn
bewahrt.“
Paruschjati lächelte ironisch. „Ich bin sicher, Perdikkas
würde sich der Verantwortung nicht entziehen.“
„Selbstverständlich nicht. Seit Hephaistions Tod ist mein
Bruder faktisch der höchste Würdenträger im Reich. Daher würde tatsächlich ein
großer Teil der Verantwortung auf seinen Schultern lasten, ob es ihm gefällt
oder nicht.“
Faktisch, hieß das, würde sich Perdikkas um die Last der
Verantwortung buchstäblich reißen. Doch Atalantes Einschätzung war durchaus
realistisch. Hephaistion war der Hazarapatisch gewesen, oder, wie die Griechen
es nannten, der Chiliarch. Als er starb, hatte Perdikkas viele seiner Aufgaben
übernommen, auch wenn er nicht formal zum Chiliarchen ernannt worden war.
Dadurch war er tatsächlich nach dem König der mächtigste Mann im Reich. Denn
Antipatros, Alexanders Statthalter in
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