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Die Pest (German Edition)

Die Pest (German Edition)

Titel: Die Pest (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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ich, Monsieur ist Fatalist.›
    Ich hatte nichts dergleichen geäußert, und außerdem bin ich kein Fatalist. Das habe ich ihm gesagt …»
    Von diesem Zeitpunkt an berichten Tarrous Aufzeichnungen etwas eingehender über dieses unbekannte Fieber, das in der Öffentlichkeit schon Beunruhigung hervorrief. Nach der Notiz, dass der kleine Alte mit dem Verschwinden der Ratten endlich seine Katzen wiedergefunden habe und geduldig sein Zielen korrigiere, fügte Tarrou hinzu, man könne schon ein Dutzend Fälle dieses Fiebers zählen, von denen die meisten tödlich verlaufen seien.
    Zu dokumentarischen Zwecken kann man schließlich noch Tarrous Porträt von Doktor Rieux wiedergeben. Soweit der Erzähler es beurteilen kann, ist es ziemlich treffend:
    «Sieht aus wie fünfunddreißig. Mittelgroß. Breite Schultern. Beinah rechteckiges Gesicht. Dunkle, gerade Augen, aber vorspringender Kiefer. Die große Nase ist ebenmäßig. Sehr kurz geschnittenes schwarzes Haar. Der Mund ist geschwungen, die Lippen sind voll und fast immer zusammengepresst. Mit seiner verbrannten Haut, dem schwarzen Haar und der immer dunklen Kleidung, die ihm aber gut steht, sieht er ein bisschen aus wie ein sizilianischer Bauer.
    Er geht schnell. Er tritt vom Bürgersteig herunter, ohne sein Tempo zu ändern, macht aber bei zwei von drei Malen einen kleinen Satz, wenn er den gegenüberliegenden Bürgersteig erreicht. Beim Autofahren ist er zerstreut und lässt oft den Winker draußen, wenn er schon abgebogen ist. Immer ohne Kopfbedeckung. Wirkt informiert.»
     
     
    Tarrous Zahlen stimmten. Doktor Rieux wusste darüber Bescheid. Nachdem die Leiche des Concierge isoliert worden war, hatte er Richard angerufen, um ihn über dieses Leistendrüsenfieber auszufragen.
    «Ich werde nicht klug daraus», hatte Richard gesagt. «Zwei Tote, der eine innerhalb von achtundvierzig Stunden, der andere nach drei Tagen. Den zweiten hatte ich morgens mit allen Anzeichen der Besserung verlassen.»
    «Benachrichtigen Sie mich, wenn Sie weitere Fälle bekommen», sagte Rieux.
    Er rief noch einige Ärzte an. Die so erfolgte Umfrage ergab etwa zwanzig ähnliche Fälle innerhalb von wenigen Tagen. Fast alle waren tödlich verlaufen. Daraufhin verlangte er von Richard, dem Vorsitzenden der Ärzteschaft, die Isolierung der Neuerkrankten.
    «Aber das ist nicht meine Sache», sagte Richard. «Dazu wären Maßnahmen des Präfekten nötig. Außerdem, woher wissen Sie denn, dass Ansteckungsgefahr besteht?»
    «Ich weiß es ja gar nicht, aber die Symptome sind beunruhigend.»
    Richard meinte jedoch, «er sei nicht befugt». Was er tun könne, sei, mit dem Präfekten darüber zu sprechen.
    Aber während noch geredet wurde, verschlechterte sich das Wetter. Am Tag nach dem Tod des Concierge bedeckten dichte Dunstwolken den Himmel. Kurze, sintflutartige Regenfälle gingen auf die Stadt nieder; diesem heftigen Platzregen folgte gewittrige Schwüle. Selbst das Meer hatte sein dunkles Blau eingebüßt und nahm unter dem verhangenen Himmel einen für die Augen schmerzhaften Glanz wie von Silber oder Stahl an. Die feuchte Hitze dieses Frühlings erweckte Sehnsucht nach der Glut des Sommers. In der spiralförmig auf ihrem Plateau angelegten Stadt, die sich kaum zum Meer hin öffnete, herrschte dumpfe Apathie. Zwischen ihren langen verputzten Mauern, in den Straßen mit den staubigen Schaufenstern, in den schmutzig gelben Trambahnen fühlte man sich ein wenig als Gefangener des Himmels. Nur Rieux’ alter Patient überwand sein Asthma und freute sich über dieses Wetter.
    «Es brennt», sagte er, «das ist gut für die Bronchien.»
    Es brannte tatsächlich, aber nicht mehr und nicht weniger als Fieber. Die ganze Stadt hatte Fieber, das war zumindest das Gefühl, das Doktor Rieux an dem Morgen verfolgte, als er unterwegs war in die Rue Faidherbe, um bei der Untersuchung von Cottards Selbstmordversuch dabei zu sein. Aber dieses Gefühl kam ihm töricht vor. Er schrieb es der Nervosität und den Sorgen zu, die ihn bedrängten, und gestand sich ein, dass es dringend nötig sei, etwas Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
    Als er eintraf, war der Kommissar noch nicht da. Grand wartete auf dem Treppenabsatz, und sie beschlossen, zuerst einmal zu ihm zu gehen und die Tür offen zu lassen. Der Angestellte der Stadtverwaltung bewohnte zwei karg eingerichtete Zimmer. Auffallend waren nur ein Bord aus Fichtenholz mit zwei oder drei Wörterbüchern und eine Wandtafel, auf der man noch, halb ausgewischt, die

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