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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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waren, daß, wenn ich ein Fremder gewesen wäre und den Weg 24

    nicht gewußt hätte, ich manchmal eine ganze Straße bis zum Ende hätte hinuntergehen können – eine Nebenstraße jedenfalls
    –, ohne jemanden, den ich hätte fragen können, anzutreffen, die Wachmänner ausgenommen, die man vor die Häuser, welche abgeschlossen waren, postiert hatte, worauf ich gleich werde zu sprechen kommen.
    Eines Tages – ich hatte in einer besonderen Angelegenheit wieder geschäftlich in jenem Teil der Stadt zu tun – verführte mich die Neugier, mir alles ein wenig genauer anzuschauen, und tatsächlich wanderte ich lange durch Gegenden, in denen ich eigentlich nichts zu tun hatte. Ich ging nach Holborn hinüber, und dort war die Straße voll von Leuten, aber sie gingen alle in der Mitte der breiten Straße, jedoch weder hüben noch drüben am Rande, weil sie, wie ich vermute, mit niemandem in Berührung kommen wollten, der aus einem der Häuser trat, noch sich den Gerüchen und Dünsten aus den Häusern aussetzen, die ja vielleicht infiziert sein mochten.
    Die Anwaltskammern waren alle geschlossen; man hätte ohnehin sowohl in Temple als in Lincoln’s Inn als in Gray’s Inn kaum einen Anwalt finden können. Alle Welt war ja friedlich; für Rechtsanwälte gab es keine Arbeit; außerdem war auch Ferienzeit, und die meisten von ihnen waren aufs Land gefahren. Ganze Straßenzüge lang war Haus für Haus fest abgeschlossen, die Einwohner waren alle geflohen, und nur ein oder zwei Wachmänner waren dageblieben.
    Wenn ich sage, ganze Straßenzüge waren abgeschlossen, so meine ich nicht: von Amts wegen geschlossen. Aber eine große Anzahl von Menschen war dem Hof gefolgt, weil ihr Broterwerb oder sonst eine Abhängigkeit es von ihnen verlangte; und als andere dann, aus reiner Angst vor der Seuche, sich davonmachten, kam das für manche Straßen einem Aussterben gleich. Aber in der eigentlichen City war die Angst eigentlich noch lange nicht so groß, und das besonders deswegen, weil trotz der unbeschreiblichen Bestürzung, der man im ersten 25

    Moment anheimfiel, die Seuche, wie ich erwähnt habe, zu Anfang ja immer wieder abflaute; so wurden sie sozusagen in Angst versetzt und sogleich wieder beruhigt, und dies mehrere Male, bis sie sich schließlich daran gewöhnten; auch als die Krankheit dann mit voller Heftigkeit ausbrach, sahen die Leute doch, daß sie sich nicht gleich bis in die City ausbreitete, auch nicht in den Osten und Süden der Stadt, und so faßten sie wieder Mut und fingen an, wenn ich so sagen darf, ein wenig abgebrüht zu werden. Zwar flüchteten viele, wie ich berichtet habe, aber sie waren hauptsächlich aus dem Westen der Stadt und aus dem, wie wir es nennen, Herzen der City, das heißt, sie stammten aus den wohlhabendsten Kreisen und hatten meist weder Geschäft noch Gewerbe, das sie festgehalten hätte. Aber von den übrigen blieb die Mehrzahl da und schien sich mit dem Schlimmsten abgefunden zu haben; so daß in dem Viertel, das wir die Stadtfreiheit nennen, und in den Vororten, in Southwark und in solchen östlichen Stadtteilen wie zum Beispiel Wapping, Ratcliff, Stepney, Rotherhithe und anderen die Leute im allgemeinen dablieben, ausgenommen ein paar begüterte Familien hie und da, die, wie oben, von der Aus-
    übung eines Berufes nicht abhängig waren.
    Es darf hier nicht vergessen werden, daß City und Vororte zur Zeit dieser Heimsuchung außerordentlich stark bevölkert waren, jedenfalls zu der Zeit, als sie begann; denn obwohl ich später ein noch größeres Anwachsen der Bevölkerung erlebt habe, als der Zuzug nach London mächtiger wurde als je zuvor, so hatten wir doch immer den Eindruck, daß die Zahl der Menschen, die, als der Krieg vorüber, die Armee entlassen, die Monarchie wieder hergestellt war, nach London geströmt kamen, um hier eine Existenz zu gründen oder sich am Hofe um Dienstvergütungen oder Vorzugsstellungen oder dergleichen zu bewerben, so groß war, daß man schätzen konnte, es befänden sich über hunderttausend Menschen mehr in der Stadt als sie vorher beherbergt hatte; ja, einige gingen so weit zu 26

    sagen, die Zahl habe sich verdoppelt, weil all die verarmten Familien der Königspartei sich hier eingefunden hätten. All die vielen alten Soldaten, die hier ein Gewerbe anfingen: Das gab eine Unmenge von Familien, die sich neu niederließen.
    Der Hof wiederum brachte einen Schwärm des Übermuts und neuer Moden mit sich. Alle Leute waren jetzt lebenslustig und

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