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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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werde, um sie in ihr Grab zu fahren.
    Ich hätte nicht sagen können, daß ich mit meiner Rede gro-
    ßen Eindruck auf sie machte, aber dann traf es sich, daß zwei Männer aus der Nachbarschaft herbeikamen; sie hatten den 115

    Streit gehört, und da sie meinen Bruder kannten – sie hatten beide einmal zu seinem Hauswesen gehört – kamen sie mir beizustehen. Nachbarn, die sie, wie gesagt, waren, kannten sie sogleich drei der Frauen und sagten mir, wer sie waren und wo sie wohnten; und sie hatten mir, scheint es, vorher wahre Angaben über sich gemacht.
    Diese beiden Männer sind mit einer weiteren Erinnerung verknüpft. Der eine hieß John Hayward, und er war zu der Zeit Unterküster in der St. Stephen Pfarre in der Coleman Straße.
    Unterküster bedeutete damals soviel wie Totengräber und Leichenträger. Dieser Mann schaffte alle Toten, die in der großen Pfarre beerdigt wurden, in ihr Grab, oder half dabei, zuerst noch in der Form der feierlichen Bestattung, später, als man damit aufhörte, ging er mit Totenkarren und Glocke herum, um die Leichen aus den Häusern abzuholen, wo sie lagen, und schleppte viele von ihnen aus den Zimmern und durch die Häuser; denn dieser Sprengel war, und ist immer noch, besonders bemerkenswert ob der großen Zahl seiner schmalen Gäßchen und engen, langen Hinterhöfe, auf die kein Wagen einfahren konnte, so daß man dort die Leichen auf weiten Wegen zu Fuß herausholen mußte; von diesen Gäßchen stehen manche heute noch als Zeugen, so zum Beispiel White’s Alley, Cross Key Court, Swan Alley, Bell Alley, White Horse Alley und viele mehr.
    Dorthinein gingen sie mit einer Art von Schubkarren und legten die Toten darauf und schafften sie damit zu dem Fahr-zeug hinaus; dies war seine Arbeit, und er bekam die Pest nie, sondern lebte noch zwanzig Jahre danach und war bis zum Lebensende Küster in der Pfarre. Seine Frau war zur selben Zeit Krankenwärterin, von den Gemeindebeamten für ihre Ehrlichkeit überall empfohlen, und pflegte viele in der Gemeinde, bis sie starben, und auch sie wurde nicht angesteckt.
    John gebrauchte nie ein anderes Mittel gegen die Infektion, als daß er Knoblauch und Raute im Mund hielt und Tabak 116

    rauchte. Das habe ich auch von ihm selber. Und seine Frau nahm Essig; sie wusch ihr Haar in Essig, besprengte ihre Kleider mit Essig, so daß sie immer feucht waren; und wenn der Gestank der Kranken, die sie wartete, einmal noch absto-
    ßender war als gewöhnlich, so zog sie Essig in der Nase hoch und sprengte Essig auf ihr Kopftuch und hielt ein in Essig getränktes Taschentuch vor ihren Mund.
    Es muß gesagt werden, daß die Armen, obwohl die Pest vornehmlich unter ihnen hauste, ihr dennoch am furchtlosesten begegneten und mit einer Art von störrischer Tapferkeit ihrer Arbeit nachgingen; ich muß es so nennen, denn es war weder auf Religion noch Überlegung gegründet; selten übten sie eine Vorsicht, sondern nahmen jede Beschäftigung an, die ihnen einen Lebensunterhalt bot, und wenn sie noch so gefährlich war. So zum Beispiel: die Pestkranken zu warten, die gesperrten Häuser zu bewachen, die seuchebefallenen Personen ins Pesthaus zu bringen, und was noch schlimmer war, die Toten ins Grab zu tragen.
    Unter dieses John Haywards Augen und in seinem Dienstbe-reich war es auch, wo sich die Geschichte von dem Flötenspieler, der die Leute immer so belustigt hatte, zutrug, und John versicherte mir, daß sie wahr sei. Es hat geheißen, der Flötenspieler sei blind gewesen; aber wie ich von John hörte, war er nicht blind, sondern nur ein hilfloser, schwacher, alter Mann, der gewöhnlich gegen 10 Uhr abends seine Runde machte und flötend von Tür zu Tür ging; und die Leute luden ihn in die Schänken ein, wo er schon bekannt war, und gaben ihm zu essen und zu trinken und manchmal ein paar Pfennige; und als Gegengabe pflegte er zu flöten und zu singen und dummes Zeug zu reden, was die Leute unterhielt; und davon lebte er.
    Nur war es jetzt, wo die Dinge so standen, wie ich berichtet habe, eine sehr schlechte Zeit für solche Unterhaltung, doch der arme Mensch ging herum wie immer und war fast verhungert; und wenn jemand ihn fragte, wie es ihm gehe, so pflegte 117

    er zu antworten, der Totenkarren habe ihn diesmal noch nicht mitgenommen, aber sie hätten versprochen, ihn nächste Woche abzuholen.
    Eines Abends geschah es, daß dieser arme Kerl, ob ihm jemand zuviel zu trinken gegeben hatte oder nicht – John Hayward sagte, er habe nicht getrunken, sondern

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