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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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und Wandel, mit Ausnahme dessen, was dem unmittelbaren Bedarf diente, zum Stillstand gekommen.
    Dieser ganze Fall enthält so viel Lebenswahrheit und sagt so viel über die tatsächlichen Verhältnisse der Leute, daß ich der Meinung bin, ich kann gar nicht genug in seine Einzelheiten gehen, und will deshalb von jeder der verschiedensten Klassen oder Schichten, die unmittelbar von der Notlage in Mitleidenschaft gezogen wurden, gesondert sprechen. Zum Beispiel: 1. Alle Meister der Handwerksbetriebe, besonders solcher, die sich mit der Fertigung von Ornamenten und den weniger notwendigen Teilen von Kleidern und Möbeln befaßten, so wie Bänderweber und andere Weber, Gold- und Silberschmiede, Gold- und Silberfiligraneure, Näherinnen, Putzmacherinnen, 122

    Schuhmacher, Hutmacher und Handschuhmacher; ebenfalls Polsterer, Schreiner, Tischler, Brillenmacher und unzählige Gewerbe, die von solchen abhängen – ich sage, die Meister solcher Betriebe stellten die Arbeit ein, entließen ihre Gesellen und Arbeiter und lösten ihr Geschäft auf.
    2. Da der Handel mit Waren zum Stillstand gekommen 2.
    war – denn nur sehr wenige Schiffe wagten sich den Fluß herauf und gar keines ging hinaus – wurden alle die überzähli-gen Zollbeamten, ebenso die Schiffer, Fuhrleute, Träger und all die Armen, deren Beschäftigung von den Kaufleuten abhing, sofort entlassen und ihres Broterwerbes beraubt.
    3. Alle, die im Baugewerbe beschäftigt waren, hatten keine Arbeit, denn niemand hatte Lust, ein Haus zu bauen, wo so viele tausend Häuser plötzlich leer standen; dies allein machte alle die Arbeiter, die zu diesem Geschäft gehören, erwerbslos: Ziegler, Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Gipser, Maler, Glaser, Schlosser, Klempner und alle die Gewerbezweige, die von diesen abhängen.
    4. Da die Schiffahrt zum Erliegen gekommen war – unsere Schiffe liefen weder ein noch aus wie früher – waren alle Seeleute ohne Arbeit, und viele von ihnen auf der letzten und untersten Stufe des Elends angelangt; wie den Seeleuten erging es all den verschiedenen Handwerksleuten und Arbeitern, die mit Schiffsbau und Schiffsausrüstung zu tun hatten und davon lebten, so wie: Schiffszimmerleute, Kalfaterer, Seiler, Trok-kenküfer, Segelmacher, Ankerschmiede und andere Schmiede; Formmacher, Drechsler, Büchsenmacher, Schiffskrämer, Schiffsschnitzer und dergleichen. Die Kapitäne und die Meister dieser Gewerbe konnten vielleicht von ihrem Vermögen leben, aber die Schiffe lagen alle still, und so wurden die Arbeiter entlassen. Dazu kam, daß auch auf dem Fluß beinahe kein Boot mehr verkehrte, und alle oder der größte Teil der Fährleute, Stauer, Boots- und Schiffbauer waren ebenfalls außer Arbeit und Brot.

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    5. Alle Familien schränkten ihre Lebenshaltung soweit wie möglich ein, sowohl, die geflohen, wie die, die geblieben waren; so daß eine unübersehbare Menge von Lakaien, Dienst-leuten, Gehilfen, Verkäufern, Buchhaltern und ähnlichen Leuten, und besonders armen Dienstmägden, auf die Straße gesetzt wurden, wo sie, ohne Freund und ohne Hilfe, ohne Broterwerb und ohne Unterkunft, sich selbst überlassen blieben, und das war wirklich ein sehr trübes Kapitel.
    Ich könnte hier noch näher auf die Einzelheiten eingehen, aber es mag genügen, wenn ich ganz allgemein sage, daß, wo alle Gewerbe stillagen, die Beschäftigung und die Arbeit und damit die Verdienstmöglichkeit der Armen unterbunden wurde; und zuerst gellte uns das Klagegeschrei der Armen recht jammervoll in den Ohren, obwohl durch die Austeilung milder Gaben das Elend weitgehend gemildert wurde. Viele flohen zwar in die Umgebung, aber Tausende von ihnen, die so lange in London geblieben waren, bis nichts als die Verzweiflung sie forttrieb, wurden unterwegs vom Tode ereilt, und so galten sie überall nur als die Boten des Todes; andere, die die Seuche mit sich schleppten, trugen sie unglückseligerweise bis in die äußersten Teile des Reiches.
    Viele von diesen waren die bejammernswerten Opfer der Verzweiflung, die ich vorher erwähnte, und fielen der Vernichtung, die aus ihr folgte, anheim. Man kann von ihnen sagen, daß sie nicht an der Pest selbst, sondern an ihren Folgen umkamen, nämlich durch Hunger und Entbehrung und, in der Tat, dem Mangel an allem; waren sie doch ohne Wohnung, ohne Freunde, ohne Geld und ohne Erwerbsmöglichkeit, und oft konnte ihnen auch niemand helfen; denn viele von ihnen besaßen nicht, was wir einen legalen Anspruch nennen, und so konnten sie bei

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