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Die Pest zu London

Die Pest zu London

Titel: Die Pest zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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sie hätten ihm nur in einer Schänke in der Coleman Straße ein wenig mehr als gewöhnlich zu essen gegeben, und der arme Kerl, an einen vollen Magen wohl schon eine ganze Weile nicht mehr gewohnt, lag ausgestreckt oben auf einer Bude oder einem Verschlag, in einem Toreingang in der Straße beim London Wall, auf Cripplegate zu, und schlief fest; und oben auf den gleichen Verschlag oder Marktstand hatten Leute aus der Gasse, an deren Ecke das Haus stand, als sie die Glocke hörten, die beim Kommen des Totenkarrens immer geläutet wurde, eine Leiche gelegt, einen Pesttoten, und sie hatten gemeint, daß der arme Mensch, der schon dort lag, genauso ein Toter sei, den Nachbarn dort hingebracht hätten.
    Demgemäß, als John Hayward mit der Glocke und dem Totenkarren vorbeikam und zwei Tote auf dem Verschlag liegend fand, packten sie sie mit dem Instrument, das sie dafür gebrauchten, und warfen sie auf den Wagen, und alldieweil schlief der Flötenspieler seinen gesunden Schlaf.
    Von dort fuhren sie weiter und luden andere Leichen auf, bis sie, wie mir der gute John erzählte, ihn fast lebendig in dem Wagen begraben hatten; aber er ließ sich keinen Augenblick im Schlaf stören. Schließlich kamen sie zu dem Platz, wo die Toten in die Erde geworfen werden sollten, und das war, soweit ich mich entsinne, am Mount Mill; nun stand der Wagen gewöhnlich eine Weile still, bevor sie soweit waren, die traurige Ladung, die er fuhr, auszukippen; und sobald er anhielt, wachte der Mann auf und strampelte ein wenig, um seinen Kopf unter den Leichen hervorzubringen und rief dann, sich im Wagen aufrichtend: »He, wo bin ich?« Das entsetzte 118

    den Mann, der beim Wagen mit zur Hand ging, aber nach einer Pause faßte sich John Hayward und sagte: »Gott steh uns bei!
    Da ist jemand auf dem Wagen noch nicht tot!« und der andere rief und fragte: »Wer seid Ihr?« Der Mensch antwortete: »Ich bin der arme Flötenspieler. Wo bin ich hier?« »Wo Ihr seid?«
    sagte Hayward. »Nun, Ihr seid auf dem Totenkarren, und wir sind dabei, Euch zu begraben.« »Aber ich bin doch nicht tot, oder?« sagte der Flötenspieler, was sie ein wenig zum Lachen brachte, obwohl ihnen, so sagte John, zuerst der Schreck tüchtig in die Glieder gefahren war; so halfen sie ihm herunter, und dar arme Kerl ging seines Weges.
    Ich weiß, daß es in der Geschichte heißt, er habe in dem Karren seine Pfeifen hervorgeholt und zu flöten angefangen und die Totengräber seien vor Angst davongelaufen; aber so erzählte John Hayward die Geschichte nicht, und daß er geflötet habe, davon sagte er nichts; sondern nur, daß er ein armer Flötenspieler war und daß er auf obige Art weggefahren worden sei, und ich bin fest überzeugt, daß dies die Wahrheit ist.
    Es sei hier angemerkt, daß die Totenkarren in der City sich nicht an bestimmte Pfarrsprengel zu halten hatten, sondern ein Wagen fuhr durch mehrere Bezirke, je nach der Zahl der gemeldeten Toten; auch waren sie nicht verpflichtet, jeden Toten auf seinen Gemeindefriedhof zu bringen, sondern viele der Toten, die man in der City auflud, wurden aus Mangel an Platz auf einen Bestattungsgrund am Rande der Stadt geschafft.
    Ich habe schon davon gesprochen, wie überraschend die Heimsuchung zuerst für die Leute kam. Man muß mir gestatten, einige meiner Beobachtungen nach der sittlichen und religiösen Seite hin hier anzuführen. Sicherlich ist niemals eine Stadt, jedenfalls keine von dieser Größe und Ausdehnung, so völlig unvorbereitet auf eine so furchtbare Heimsuchung betroffen worden, ob ich von den behördlichen Vorbereitungen sprechen soll oder von den religiösen. Es war in der Tat, als hätten sie keine Warnzeichen, keine Vorahnungen, keine 119

    Zukunftsbesorgnis gehabt, und infolgedessen waren die Vorkehrungen, die von seilen der Öffentlichkeit getroffen worden waren, unvorstellbar mangelhaft. Zum Beispiel hatten der Lordbürgermeister und die Sheriffs, als die Hüter der Ordnung, keinen Plan gefaßt, welche Verhaltensregeln zur allgemeinen Befolgung zu erlassen seien. Man hatte sich keinerlei Gedanken über Maßnahmen zur Armenfürsorge gemacht. Es gab im Besitz der öffentlichen Hand keine Magazine oder Lagerhäuser für Korn oder Mehl zur Versorgung der Armen; hätte man solche, wie das anderswo in Fällen dieser Art geschieht, angelegt, hätte man vielen notleidenden Familien, die jetzt ins ärgste Elend gerieten, helfen können, und zwar auf viel bessere Art, als es jetzt möglich war.
    Über den Geldvorrat

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