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Die Pest Zu London

Die Pest Zu London

Titel: Die Pest Zu London Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Defoe
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genügte mir nicht, sie nur bei Tage anzuschauen, wie ich es schon vordem getan hatte, denn da hätte es nichts zu sehen gegeben als lose Erde; alle Leichen nämlich, die sie hineinwarfen, bedeckten die Totengräber, die man auch einfach die Träger nannte, sogleich mit Erde; aber ich nahm mir vor, in der Nacht hinzugehen und zuzuschauen, wenn einige hineingeworfen wurden.
    Es war durch einen Erlaß streng verboten, daß jemand zu den Gruben ging, und das war nur, um Ansteckungen zu verhindern. Aber nach kurzer Zeit wurde dieses Verbot noch wichtiger, denn es kam vor, daß Menschen, die krank lagen und schon im Fieberwahn und dem Ende nahe waren, zu den Gruben liefen, in Decken oder Bettücher gehüllt, und sich hinunterstürzten, um, wie sie sagten, sich selbst zu begraben. Ich möchte nicht behaupten, daß die Beamten jemals einen dort mit Absicht haben liegen lassen; aber ich habe gehört, daß in einer großen Grube in Finsbury, in der Pfarre Cripplegate, da damals dort der Friedhof noch nicht ummauert war, sondern offen im Freien lag –, daß sie kamen und sich hineinstürzten und dort verschieden, bevor man noch Erde auf sie warf; als man dann kam, um andere zu bestatten, fand man sie bereits tot, wenn auch noch nicht erkaltet.
    Dies mag ein wenig dazu dienen, die gräßlichen Zustände jener Zeit zu veranschaulichen, obwohl es unmöglich ist, mit Worten denen, die es nicht gesehen haben, einen wahrheitsgetreuen Begriff davon zu geben; alles was man sagen kann, ist, daß es sehr, sehr, sehr grauenvoll war und so, wie keine Zunge es auszudrücken vermag.
    Ich erhielt Zutritt zu dem Friedhof durch meine Bekanntschaft mit dem Küster, der dort Dienst tat; obwohl er mich nicht rundweg abwies, versuchte er dennoch ernstlich, mich von meinem Vorhaben abzubringen, indem er mir – guter, frommer und verständiger Mann, der er war – sehr eindringlich erklärte, es sei ausschließlich ihr Geschäft und ihre Pflicht, dies zu wagen und alle Gefahren auf sich zu nehmen, und daß sie dabei hoffen dürften, bewahrt zu bleiben; daß ich jedoch keine sichtliche Berufung dafür hätte, außer meiner eigenen Neugier, was, so meinte er, ich wohl nicht als einen ausreichenden Grund anführen wolle, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Ich sagte ihm, ich fühlte mich in meinem Innern gedrängt zu gehen und es könne vielleicht auch ein lehrreicher Anblick sein, der mir wahrscheinlich Nutzen bringe. »Freilich«, sagte der gute Mann, »wenn Ihr es auf die Rechnung unternehmen wollt, dann in Gottes Namen, geht hinein; denn, verlaßt Euch drauf, es wird eine Predigt für Euch sein, vielleicht die beste, die Ihr Euer Leben lang hörtet. Es ist ein sprechender Anblick«, sagte er, »und spricht mit einer Stimme, und einer lauten, die uns alle zur Buße ruft«; und damit öffnete er das Tor und sagte: »Geht, wenn Ihr wollt.«
    Seine Rede hatte meinen Entschluß ein wenig erschüttert, und ich stand eine gute Weile schwankend, aber dann sah ich plötzlich zwei Fackeln von den Minoriten her herankommen und hörte den Klingler, und dann erschien ein Totenkarren, wie sie ihn nannten, auf der Straße; da konnte ich meinem Verlangen zuzuschauen nicht länger widerstehen und ging hinein. Es war niemand, soweit ich zuerst erkennen konnte, auf dem Friedhof, und es betrat ihn auch keiner als die Totengräber und der Bursche, der den Karren fuhr oder vielmehr Pferd und Wagen an der Hand führte; aber als sie bei der Grube anlangten, sahen sie einen Mann hin- und hergehen, in einen braunen Umhang vermummt und mit den Händen unter dem Mantel Bewegungen vollführend, als ringe er mit einem großen Schmerz, und die Totengräber umstellten ihn sogleich, in dem Glauben, er sei eins dieser bedauernswerten fieberwahnsinnigen oder außer sich geratenen Geschöpfe, die, wie ich schon sagte, sich selbst zu begraben vermeinten. Er sagte kein Wort, während er umherging, aber zwei oder drei Mal stöhnte er sehr tief und laut und seufzte, als ob ihm das Herz breche.
    Als die Totengräber ihn einholten, fanden sie bald heraus, daß er weder einer der kranken und verzweifelten Personen war, von denen ich oben sprach, noch geistesgestört, sondern jemand, der mit einem fürwahr grauenhaft schweren Gram beladen war, hatte er doch seine Frau und mehrere seiner Kinder alle auf dem Karren liegen, der eben mit ihm hergekommen war und den er in einem Todeskampf übermäßigen Leids begleitete. Er trauerte tief, wie man sehen konnte, aber mit einer Art männlichen

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