Die Pest Zu London
herauszuquellen, die meisten davon Frauen, und ein fürchterliches Geschrei zu machen, das sich aus Kreischen, Heulen, Zurufen mischte und überkreuzte und aus dem wir nicht klug werden konnten. Beinahe die ganze Zeit der Nacht stand der Totenkarren am Ende des Gäßchens, denn wäre er hineingefahren, er hätte nicht wieder wenden können, auch wäre er ohnehin nicht weit hineingekommen. Dort, sage ich, stand er, um die Toten in Empfang zu nehmen, und da der Friedhof nur ein kleines Stück entfernt war, so pflegte er, wenn er voll davongefahren war, in kurzem wieder zurück zu sein. Es ist unmöglich, die ganz schauderhaften Schreie und den Lärm zu beschreiben, den die Leute vollführten, wenn sie die Leichen ihrer Kinder und Freunde zu dem Karren herausbrachten, und an der Zahl gemessen, hätte man glauben sollen, daß niemand mehr übriggeblieben sei, oder aber daß da eine Bevölkerung, die für eine kleine Stadt ausgereicht hätte, in dieser Straße lebte. Mehrere Male riefen sie: »Mord«, bisweilen »Feuer!«, aber man konnte leicht ersehen, daß das alles irres Gerede war, die Klagen leidender und schmerzgetrübter Menschen.
Ich glaube, es war um diese Zeit überall so, denn die Pest wütete fünf oder sechs Wochen lang noch schlimmer, als ich es bislang schilderte, und das steigerte sich so weit, daß am Ende sogar jene mustergültige Ordnung verlorenging, die ich so sehr unserer Obrigkeit zugute gehalten habe, nämlich daß zur Tagzeit keine Leichen und keine Beerdigungen auf der Straße zu sehen waren; jetzt zwang die Notwendigkeit, auf eine kurze Zeit darüber hinwegzusehen, wenn es einmal anders war.
Eines kann ich hier nicht übergehen, und ich hielt es in der Tat für außerordentlich, jedenfalls schien es ein auffallender Hinweis der göttlichen Gerechtigkeit zu sein, nämlich daß alle die Propheten, Astrologen, Wahrsager, und was sich Hellseher, Zauberer und ähnliches nannte, Horoskopsteller und Traumdeuter und solches Volk, daß sie alle fort und verschwunden waren; nicht einen konnte man davon mehr finden. Man hat mir glaubwürdig versichert, daß eine große Anzahl von ihnen in den Sturmtagen der Pest umgekommen ist, nachdem sie in der Hoffnung, große Vermögen zu machen, in der Stadt zu bleiben sich unterfangen hatten; und in der Tat war ihr Gewinn für eine Zeit nur allzu groß, durch die Verrücktheit und die Dummheit der Leute. Aber jetzt waren sie stumm; viele von ihnen waren zur immerwährenden Ruhe gegangen, ihr eigenes Schicksal hatten sie eben nicht vorherzusagen vermocht, sich selbst hatten sie das Horoskop nicht stellen können. Man ist boshaft genug gewesen zu sagen, daß alle von ihnen starben. Das zu behaupten möchte ich mir nicht erlauben; aber soviel muß ich zugeben: ich habe niemals gehört, daß auch nur einer von ihnen, nachdem die Katastrophe vorbei war, wieder aufgetreten ist.
Aber um zu den Beobachtungen zurückzukehren, die ich während dieses furchtbaren Teils der Heimsuchung für mich selber machte. Ich bin jetzt, wie gesagt, bis zum Monat September gekommen, welcher wohl der fürchterlichste September gewesen ist, den London je erlebte; denn nach allen Chroniken, welche ich von vorhergehenden Heimsuchungen, die in London waren, gesehen habe, läßt sich nichts damit vergleichen, da doch die Zahl auf dem wöchentlichen Sterberegister für die Zeit vom 22. August bis zum 26. September beinahe 40 000 betrug, und das waren nur fünf Wochen. Im einzelnen lauteten die Registereintragungen wie folgt:
Vom 22. August bis 29. August 7496
Vom 29. August bis 5. September 8252
Vom5. September bis 12. September 7690
Vom 12. September bis 19. September 8297
Vom 19. September bis 26. September 6460
38195 Dies war an sich schon eine erstaunliche Zahl, aber wenn ich nun die Gründe hinzufüge, die mich glauben lassen, daß diese Zählung mangelhaft war, und zwar um ein Beträchtliches, dann würde der Leser, wie ich selbst, keine Bedenken haben anzunehmen, daß in all diesen Wochen mehr als zehntausend in der Woche starben, und das Woche für Woche, und vorher und nachher mehrere Wochen lang eine entsprechende Anzahl. Die Verwirrung unter den Leuten, besonders innerhalb der City, war zu der Zeit unaussprechlich. So groß war das Schrecknis, daß zuletzt die Männer, die zum Fortschaffen der Leichen bestimmt waren, ihre Kraft verließ; ja einige von ihnen starben, obwohl sie die Pest gehabt und überstanden hatten, und manch einer von ihnen fiel um, als er gerade einen Toten trug,
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