Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
Vom Netzwerk:
hatte sie Leas Reitmantel gefunden, ein leichtes Cape aus feinem Tuch. Den hatte sie nun übergeworfen und versuchte, die Judenzeichen daran im Faltenwurf zu verdecken. So stolz zu Pferde, verschleiert und verhüllt durch edle Kleidung, mochten die Männer sie für eine Patriziergattin halten, die den Sommerabend am Rhein genießen wollte - vielleicht mit einem Geliebten, von dem ihr Mann nichts ahnte. Aber schon, als Lucia diesen Gedanken fasste, war ihr klar, wie absurd es war, eine solche Rolle spielen zu wollen. Keine halbwegs anständige Frau wagte sich in diesen Zeiten allein auf die Straßen von Mainz, und man traf sich auch kaum noch zu verstohlenen Schäferstündchen. Wer auf dem Vulkan tanzen wollte, tat es meist offen. Und wer still darauf hoffte, die Seuche zu überleben, der fastete und betete in den eigenen vier Wänden.
    Die Männer machten denn auch keine Anstalten, das Tor zu öffnen, sondern starrten Lucia nur neugierig an. Als sie erkannten, dass sich ein junges Gesicht unter dem Schleier verbarg, mischte sich Lüsternheit in den Blick.
    »Was willst du denn da draußen, mein Täubchen?«, fragte einer von ihnen, ein kleiner, drahtiger Jüngling mit Spitzbart. »Ein kleiner Spazierritt? Ganz allein, so ein feines Dämchen?«
    »Einen wilden Ritt könnt ich Euch auch hier versprechen!« Der andere, anscheinend der Hauptmann, schien Lucia mit den Blicken auszuziehen. Er leckte sich über die Lippen, als er ihre Figur unter dem Mantel ausmachte. »Kommt doch mal runter von Eurem hohen Ross, und stellt Euch vor ...«
    Lucia versuchte, sich noch selbstbewusster zu geben und aufrechten Zorn in ihren hochmütigen Blick zu legen. »Ich muss mich nicht ausweisen, ich bin Mainzer Bürgerin!«, wies sie den Mann zurecht, obwohl ihr nicht wohl dabei war. Ihr Status war keineswegs klar, doch sich als Bürgerin zu bezeichnen war sicher zu keck! »Und die Sonne geht noch längst nicht unter. Das Tor sollte allen offen stehen, die hinein- und hinauswollen. Warum ist es überhaupt verschlossen? Wollt ihr einen Scherz mit den Leuten treiben?«
    Die Büttel lachten. Der Jüngere schüttelte nun wenigstens den Kopf und gab vernünftig Auskunft.
    »Ganz Mainz ist verschlossen, Mädchen. Anordnung des Bischofs und des Magistrats. Es hat Ausschreitungen im Judenviertel gegeben und auch anderswo in der Stadt. Da will man Schuldige und Unschuldige in den Mauern halten.«
    »Unschuldige?«, fragte Lucia verwirrt. Versperrte der Bischof den letzten überlebenden Juden hier gezielt die Fluchtmöglichkeiten?
    »Sicher, Süße!« Der ältere der Büttel trat an die Seite von Lucias Sattel und strich wie zufällig über ihr linkes Bein. »Du bist wirklich ein niedliches Ding, lass den Schleier doch mal sinken! Die Judenschläger und Flagellanten wollen sie festsetzen und hängen. Schon um ein Exempel zu statuieren. Man geht nicht einfach hin und fackelt die Juden des Bischofs ab! Die bringen schließlich Steuern in die Kasse! Weshalb sie auch bitteschön bleiben mögen. Wenn sie jetzt alle fliehen, kommt nichts mehr rein.«
    Lucia war entsetzt. Wie konnte man die letzten Überlebenden auch noch einsperren! Zusammen mit ihren Häschern!
    Der andere Büttel hatte Lucias Mantel inzwischen näher in Augenschein genommen.
    »Sieh mal einer an! Die Kleine ist ja selbst ein Judenhürchen! Versteckt ein bisschen die Zeichen, aber da schau! Wahrscheinlich unterwegs mit den letzten Familienschätzen. Was gibst du uns, Süße, wenn wir für dich eine Ausnahme machen und dich rauslassen?« Die Hand des Büttels schob sich unter Lucias Mantel.
    Die junge Frau überlegte verzweifelt. Ihr erster Gedanke galt dem silbernen Leuchter. Aber wenn sie den Männern ihren einzigen Schatz überließ, zog sie ohne jeden Kupferpfennig in die Fremde! Sie konnte unterwegs kein Geld verdienen. Es sei denn ...
    »Ach, was denkst du immer an Schätze, Martin? Glaubst du wirklich, die schicken so ein Mädchen mit dem Familiensilber auf den Weg? Ganz allein? Nee, mein Guter, die rettet gerade mal Leib und Leben. Einen sehr hübschen Leib ...« Während der Ältere sprach, zog er den Mantel von Lucias Schulter. »Komm jetzt runter, Mädchen! Und zahl deinen Wegezoll! Danach reden wir über deinen Abgang!«
    Der Mann machte Anstalten, Lucia vom Maultier zu zerren. Widerwillig nahm sie die Füße aus den Steigbügeln. Es war besser, freiwillig abzusteigen, als heruntergerissen zu werden und in den Armen des Kerls zu landen. Schlimm genug, dass er sie auffing, als

Weitere Kostenlose Bücher