Die Pestärztin
gewollt hatte. Also brannte wohl auch dieses Haus.
Inzwischen versuchte die von den Zünften gestellte Feuerwehr, sich mit der Feuerspritze einen Durchgang zu verschaffen, kam aber nicht recht vorwärts. Die Leute bejubelten sie auch nicht wie sonst, sondern schienen zum Teil sogar erpicht darauf, sie am Löschen der Judenhäuser zu hindern.
Lucia drängte sich in den Hofeingang des Gebäudes, in dem Lea und Juda wohnten. Es wirkte noch relativ unversehrt, aber dann sah sie Flammen aus dem zweiten und dritten Stock schlagen. Plünderer rannten mit ein paar wertvollen Gegenständen auf die Straße.
Lucia wusste, dass sie spätestens jetzt versuchen sollte, so schnell wie möglich wegzukommen. Aber sie konnte nicht anders. Verzweifelt sprach sie eine offensichtlich betrunkene Frau an, die eben mit einem von Leas gehüteten Hochzeitsgeschenken, einem silbernen Leuchter, das Haus verließ.
»Verzeiht, Gevatterin! Aber die Leute, die da gewohnt haben ... sind sie noch drin?«
Die Frau lachte, und Lucia erkannte mit Abscheu eines der Mädchen, die Lea als Hausmägde eingestellt hatte. Ihre Familie war irgendwie mit Hans verwandt, dem treuen Knecht der Speyers. Hans hatte diese Frau empfohlen ... Wo mochte er jetzt sein?
»Nö, Mädel, den Kerl haben sie erschlagen, und die Hexen brennen schon lange!« Die ehemalige Magd gab bereitwillig Auskunft. Sie schien Lucia für eine Gleichgesinnte zu halten. »Im Speyer'schen Haus, da haben sie die Gevatterin Lea zur Niederkunft hingeschafft. Und sind alle zusammen zur Hölle gefahren! Na ja, das Kind könnt noch Glück haben. Wenn's unschuldig war und nicht von deren Händen beschmutzt, kommt's vielleicht in den Himmel ...«
Die Frau warf einen abschätzenden Blick auf das brennende Gebäude und auf Lucia.
»Hast du nicht auch mal für das Volk geschafft?«, fragte sie dann. »Du bist eins der Küferkinder, nicht? Hier, halt mal!«
Die Verwandtschaft mit der Küferin schien Lucia in den Augen der Frau zu einer vertrauenswürdigen Person zu machen. Jedenfalls drückte sie ihr den gestohlenen Silberleuchter in die Hand, während sie selbst zurück in das brennende Haus lief.
»Ich hol noch was, bin gleich wieder da!«, rief sie Lucia zu. Anscheinend war ihr noch etwas eingefallen, das sie gefahrlos an sich bringen konnte, bevor das Haus in sich zusammenfiel.
Lucia drückte den Leuchter an sich und bewegte sich benommen zurück auf die Straße. Von hier aus hatte man das Haus der Speyers sehen können, aber jetzt war da nur noch eine lodernde Flammenwand. Lucia schluckte - und schämte sich für ihre Gedanken. Sie hätte jetzt um Lea und ihre Familie weinen müssen, aber sie dachte auch an all die Bücher aus Benjamins Sammlung. Unschätzbare Werte, die da eben in Flammen aufgingen, so viel Wissen, das vielleicht für immer zerstört war! Und Lea ... Sarah ... das Kind ...
Lucia schwankte.
Der tobende Mob auf der Straße ließ die Feuerwehr jetzt endlich durch. Aber dann schloss er sich wieder hinter den Zunftbrüdern, wobei niemand zu wissen schien, wohin er fliehen sollte. Lucia hörte Schreie. Die ersten Leute wurden zerquetscht und niedergetrampelt. Lucia sehnte sich nur noch danach, weit weg zu sein. Aber wie sollte sie hier herauskommen? Gegen den Strom oder mit dem Strom - so klein und zierlich, wie sie war, hatte sie keine Chance.
Vielleicht, wenn sie sich versteckte? Abwartete und hoffte, dass die Feuerwehr erfolgreich war? Sie schlüpfte wieder durch die Hofeinfahrt von Leas nun ebenfalls lichterloh brennendem Haus. Der Hinterhof ...
Der Hinterhof war eine glühende Hölle. Lucia sah die Leiter in Flammen stehen, die sie vor einer Woche an das Haus des Arztes gelehnt hatte. Niemand hatte sie in all den Tagen weggeräumt, wahrscheinlich aus Angst vor dem Pesthaus.
Lucia sah noch einmal Clemens' Gesicht vor sich. Was würde er jetzt tun? Würde sie ihn wenigstens wiedersehen, wenn sie heute ihr Leben aushauchte? Im Himmel? Im Fegefeuer? Letzteres würde sie wohl schon im Diesseits durchlaufen. Der Hinterhof bot höchstens so lange Zuflucht, bis die Häuser endgültig zusammenstürzten.
Plötzlich hörte sie Scharren, Wiehern und Kettenklirren aus dem winzigen Stall, der hier zwischen den Häusern errichtet war. Pferde ... da drin mussten noch Pferde sein! Lucia rannte zur Stalltür und riss sie auf. Das Gebäude, ein massiver Steinbau, brannte noch nicht, aber binnen kürzester Zeit würden die Flammen überspringen. Lucias erster Impuls war, die Tiere so
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