Die Pestärztin
Kleider ab und versuchte, auch den Geist vom Körper zu trennen. Starr wie Stein lag sie auf dem Tisch, während sich einer der Männer nach dem anderen an ihr verging. Sie versuchte, die Schmerzen nicht zu spüren, weder die in ihrer Scham, in die Berthold und Martin immer wieder brutal eindrangen, noch das harte Holz des Tisches, auf den ihr nackter Rücken gepresst wurde. Sie war wie eine Puppe unter den bärenstarken Stadtwächtern. Vor allem der füllige Ältere, ein nach Schweiß stinkender, fast kahler Kerl mit kalten, blassgrünen Augen, begrub sie fast unter sich.
Als die Männer endlich von ihr abließen, fühlte sie sich am ganzen Körper wund.
»Na, hat's dir denn auch Spaß gemacht, Kleine?« Martin, der jüngere, schloss zufrieden sein Beinkleid und warf ihr dabei gönnerhafte Blicke zu. Er schien sie nicht einmal verspotten zu wollen. Anscheinend nahm er selbstverständlich an, sein Opfer befriedigt zu haben.
Lucia antwortete nicht. Sie richtete sich nur steif auf und nahm ihre Kleider. Wenn sie sich nur irgendwo außerhalb der Blicke dieser Männer hätte anziehen können! Langsam kehrte ihr Gefühl zurück. Und damit die Scham und der blanke Hass. Lucia versuchte, sich hinter einem Mauervorsprung wenigstens ein bisschen zu verstecken, während sie ihr Hemd überzog. Aber auch in den Männern schien sich jetzt so etwas wie ein schlechtes Gewissen zu regen. Wie auf Absprache verließen sie den Wachraum und zogen sich in den Torbogen zurück. Lucia atmete auf, als sie zumindest außer Sicht waren, und schlüpfte schnell in ihr Unterzeug.
Aber schon warteten neue Schrecken. Die Stadtbüttel schienen der Meinung zu sein, dass Lucia in der Wachstube nicht nur ihren Blicken verborgen war, sondern auch ihre Stimmen nicht mehr hörte. Während sie ihr Kleid überstreifte, vernahm sie ihre Unterhaltung im Torbogen.
»Willst du sie jetzt wirklich laufen lassen?«, erkundigte der Ältere sich bei Martin. Er schien es nicht zu glauben, und die Antwort des Jüngeren bestätigte Lucias schlimmste Befürchtungen.
»Bist du verrückt?«, erwiderte Martin lachend. »Wer weiß, was das Mädel für Dreck am Stecken hat! Gut, wahrscheinlich ist sie nur eine kleine Jüdin auf der Flucht. Aber wenn's doch die Hexe ist? Nein, guck nicht so, natürlich kann sie nicht zaubern! Aber du weißt doch, was in den Köpfen der Pfaffen vor sich geht! Nachher stellen sie uns noch vor Gericht, weil wir uns vom Teufel haben verleiten lassen, das Tor für sie zu öffnen. Nein, nein, die setzen wir jetzt fest, und dann ...«
Lucia sah sich verzweifelt in dem winzigen Verschlag um, der den Wächtern als Wetterschutz diente. Sie musste fliehen, aber das ging nur durch dieses Tor. Irgendwie musste sie die Kerle zwingen, es zu öffnen!
Lucia ließ die Blicke über die Wände und den Boden schweifen - und dann sah sie den Ständer. Waffen! Vier wuchtige Helmbarten lehnten ordentlich poliert in einer Ecke des Raums. Die Stadtwächter konnten sich sofort damit bewaffnen, wenn es zu einem Angriff kam. Außerdem zogen die Nachtwächter damit bewehrt durch die Straßen. Doch bis zu deren Kommen würden noch Stunden vergehen.
Für Lucia waren die langen Gerätschaften, die eine Kombination zwischen Lanze und Beil darstellten und im Nahkampf sowohl Stechen als auch Reißen ermöglichten, eigentlich zu schwer und zu unhandlich. Wenn sie damit überhaupt etwas erreichen wollte, konnte sie nur auf einen Überraschungseffekt hoffen. Aber sie musste es versuchen. Sie ging nicht wie ein Schaf zur Schlachtbank!
Beherzt griff sie zu und fasste die Waffe in der Mitte des Schaftes. So gelang es ihr aber kaum, den schweren Spieß auszubalancieren. Erst als sie näher am Speerkopf zugriff, wurde es leichter. Allerdings musste sie dann auch näher an ihren Gegner heran ...
Lucia warf einen Blick auf die Männer, die jetzt einträchtig einen Weinschlauch teilten und ihr dabei den Rücken zudrehten. Sie konnte nur einen töten. Aber welchen? Der alte war ein Dummkopf - aber vielleicht gerade dadurch gefährlich. Der jüngere würde eher bereit sein, Lucias Freiheit gegen sein Leben zu tauschen. Aber würde ihm nicht etwas einfallen, sie doch noch zu überwältigen?
Das Schicksal nahm ihr dann die Entscheidung ab. Martin, der Jüngere, wandte sich mit dem Weinschlauch in Richtung Wachstube.
»Hier, Mädchen ...« Er verharrte erschrocken, als er die Waffe in Lucias Hand sah. Doch ehe er reagieren konnte, griff Lucia an. Wie ein Ritter auf seinem Hengst
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