Die Pestärztin
verwachsen, dass sie kaum ihre Gemächer verließ, und nicht nur ihr Haar, sondern auch ihr Gesicht in der Öffentlichkeit verhüllte. Kahlbach hatte diese Zurückhaltung an ihr geliebt; da waren sich alle einig. Warum also warb er jetzt ausgerechnet um die eher aufmüpfige »Lea«? Lucia hatte den Verdacht, dass es hier um Zähmung ging. Und sie hatte keinesfalls die Absicht, dem Jäger ins Netz zu gehen. Von ihren anderen Vorbehalten ganz zu schweigen!
»Ich denke noch nicht an solche Dinge, Reb Abraham«, gab sie nun vorsichtig zurück. »Ich kann meinen Gatten nicht vergessen, und vor mir liegt die Geburt meines Kindes, auf das ich mich freue, dem ich aber auch mit Bangen entgegensehe. Das Gesichtchen meines ermordeten Sohnes steht mir noch zu genau vor Augen. Ich wäre Euch sehr verbunden, wenn Ihr mich nicht mit weiteren Anträgen belästigen würdet. Augenblicklich helft Ihr mir am meisten, indem Ihr mein Vermögen, das ich in Eure Handelsreisen investiert habe, bewahrt und mehrt ...«
Lucia hatte ihr Geld erneut in eine Warenlieferung der Gebrüder Kahlbach investiert. Diesmal brachte ihr Schiff Keramik nach Venedig und sollte mit Gewürzen und Silber zurückkehren. Auch diese Reise galt als verhältnismäßig ungefährlich. Venedig war einer der bekanntesten und sichersten Warenumschlagplätze.
Abrahams Blick verdüsterte sich kurz, und er rückte ein wenig von Lucia ab. »Ich werde mein Bestes tun«, sagte er förmlich.
Inzwischen fuhren sie am Isarufer entlang Richtung Hofberg, und Daphne konnte sich nicht sattsehen am Zeltlager der Turnierteilnehmer. Zum Teil glichen die bunten Seidenzelte der reichen Ritter kleinen Burgen; sie waren mit Türmchen und Fähnchen geschmückt. Vor den Zelten prangte die »Helmschau«: Jeder Ritter stellte sein Wappenschild, sein Banner und seine Helmzier aus, um kundzutun, wer hier residierte. Lucia kannte das schon aus der Stadt: Da hingen die Zeichen der dort logierenden Kämpfer aus den Fenstern.
»Ich muss unbedingt sehen, wo der Herr von Rennes in Landshut residiert!«, plapperte Daphne. »Vielleicht bemerkt er mich ja, und dann kann ich ihm ein Zeichen schenken, unter dem er in den Kampf reitet!«
Abraham und Lucia mussten lachen.
»Dafür bist du wohl noch ein bisschen klein!«, meinte der Kaufmann gutmütig, statt Daphne auf ihr Judentum hinzuweisen.
»Obwohl er zweifellos kein hübscheres Mädchen in der Stadt finden kann!«, fügte Lucia hinzu und zupfte Daphne an ihren braunen Locken. Sie war wirklich ein schönes Kind mit ihrem zarten, herzförmigen Gesicht und dem hellbraunen Engelshaar zu sehr dunklen, aber wie glühende Kohle leuchtenden Augen. Lucia erinnerte sich an Leas Schilderung ihrer Schwester Rebecca. Auch die musste eine seltene Schönheit gewesen sein.
»Seine Farben habe ich mir jedenfalls gemerkt!«, erklärte Daphne. »Rot und Blau. Was bedeuten sie, Reb Kahlbach? Sie haben doch eine Bedeutung, oder? Und die Bilder auch. Eine Kette und so was wie ein Ärmel ...«
Abraham lächelte. »Rot bedeutet Tapferkeit, Blau steht für Treue. Die Kette besagt, dass irgendein Ahnherr des Ritters - vielleicht auch er selbst, aber das ist eher unwahrscheinlich -, die Ritterwürde erworben hat, indem er sich allein einer Kette von Angreifern stellte. Und die Manche ... nun, das ist eine eher delikate Angelegenheit.« Er zwinkerte Lucia zu, doch sie erwiderte die Geste nicht.
»Was bedeutet deli ... delikat?« Daphne runzelte die Stirn.
»Ich nehme an, Reb Kahlbach möchte damit andeuten, dass Adrian von Rennes ein sehr ... äh, ritterlicher Mann ist, dem Frauendienst viel bedeutet«, versuchte Lucia zu erklären.
Daphne strahlte. »Das haben wir ja gesehen«, meinte sie. »Er war so höflich! Glaubst du, er ist ein Troubadour? Oh, wäre es nicht wunderbar, wenn er für uns singen würde? Gleich morgen suche ich sein Quartier und warte vor dem Fenster.«
»Daphne, Frauen steigen nicht in das Fenster eines Mannes ein, schicklich ist das nur umgekehrt«, murmelte Lucia. Sie hätte das eigentlich lustig finden sollen, sah aber die Leiter vor sich, die sie damals an das Pesthaus gelehnt hatte, in dem Clemens im Sterben lag.
Abraham von Kahlbach dagegen lachte dröhnend. »Nicht einmal das ist schicklich, Daphne. Aber wenn es Euch gefallen würde, Frau Lea.« Er rückte wieder etwas näher an sie heran.
Lucia funkelte ihn an. »Ich hatte Euch doch gebeten, das zu lassen.«
Als sie auffuhr, spürte sie eine Bewegung in ihrem Schoß. Natürlich
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