Die Pestärztin
rührte sich das Kind in ihr seit Langem, aber diesmal war es etwas anderes; es schien seine Lage zu verändern. Lucia verspürte einen kurzen Krampf. Das konnten die Vorboten der Wehen sein. Aber nicht jetzt! Bitte nicht jetzt!
Als hätte das Kind ihr Flehen gehört, verhielt es sich wieder still. Lucia beruhigte sich. Womöglich hatte sie sich das alles ja nur eingebildet.
Auch von Kahlbach war wieder ernüchtert. Die letzte Strecke des Weges legten sie schweigend zurück.
Was den Standplatz auf dem Turnier anging, hatte Hannah Levin nicht zu viel versprochen. Offensichtlich kannten die Levins den Wettkampfplatz; sie hatten die Ritterspiele wohl in früheren Jahren besucht. Abraham von Kahlbach steuerte mit seinem Verkaufswagen jedenfalls die nächste Nähe zu den Versorgungszelten an, die dem Ehrenbaldachin schräg gegenüber am rechten Ende der langen Kampfbahn aufgebaut waren. Er unterhielt sich dabei mit mehreren Herolden und Harnischfegern; anscheinend war er hier gut bekannt und beleumundet. Die Handwerker nahmen sein Angebot gleich in Augenschein und ließen sich beraten, welche Seide sich am besten auf ein Schild spannen ließ und welche Bänder für die Helmzier geeignet waren. Das erklärte auch Kahlbachs Kenntnisse der Wappenkunde, die Lucia eben verwundert hatten. Die Männer plauderten kundig über verschiedene Wappenzeichen und Farben, die sich dieser oder jener Ritter im letzten Jahr neu erworben hatte.
Lucia und Daphne hatten derweil Zeit, die Ritter zu bewundern, die ihre Pferde vor den Kämpfen abritten. Auch auf die Kampfbahn selbst bot der Stand einen guten Blick.
»Sieh nur, da ist Herr Adrian!«, rief Daphne, noch bevor Lucia sich richtig orientieren konnte. »Schau, er kämpft gerade!«
Tatsächlich schlug sich der braunhaarige Ritter eben mit einem anderen Kämpen im Ring, aber der Kampf war bereits zum größten Teil vorüber. Die Knappen der Kontrahenten hielten die Pferde am Rand der Kampfbahn fest, während die Ritter mit dem zweiten Teil des Zweikampfes, dem Schwertkampf, beschäftigt waren. Den Tjost, das Lanzenstechen, hatten Lucia und Daphne verpasst.
»Ach, den Herrn von Rennes seht Ihr heute noch mehrmals kämpfen«, bemerkte ein Knappe, den die vorwitzige Daphne danach fragte, wie der Tjost für ihren Schwarm ausgegangen war. Der Ritter hatte seinen Gegner gleich mit dem ersten Stoß vom Pferd geworfen. »Der gehört zu den Favoriten, obwohl er nur ein Fahrender ist. Er kann das Turnier durchaus gewinnen. Aber auf jeden Fall wird er noch einige vom Pferd werfen, bevor er seinen Meister findet!«
Diesen Schwertkampf beendete von Rennes jetzt erst einmal, indem er den Gegner gekonnt entwaffnete und zu Boden stieß. Dann half er ihm ritterlich auf und gab ihm sein Holzschwert wieder, damit beide in Würde vor den Herzog treten konnten.
»Sie kämpfen mit Holzschwertern?«, fragte Daphne enttäuscht.
Abraham nickte. »Was denkst du denn? Die wollen sich schließlich für echte Kämpfe ertüchtigen und nicht gegenseitig umbringen. Obwohl das auch mit Holzschwertern und abgepolsterten Lanzen geht. Gestern hat es einer geschafft, dem anderen mit dem Holzschwert ein Auge auszustechen, und ein anderer hat sich beim Sturz im Tjost das Genick gebrochen.« Auch diese Informationen verdankte er den Herolden, mit denen er eben geplaudert hatte.
Lucia zog scharf die Luft ein. Zacharias hatte recht. Diese Spiele waren gefährlicher Unsinn. Kein Wunder, dass Clemens nie viel darüber erzählt hatte. Er war schließlich aus adeligem Haus und hatte gelernt, das Schwert zu führen. Aber vom Ritterstand und der Turnierteilnahme hatte ihn wohl sein lahmes Bein ausgeschlossen.
Die beiden Kämpfer standen immer noch vor dem Ehrenbaldachin, obwohl die Herolde Herrn Adrian schon zum Sieger des Treffens erklärt hatten und auch Herzog Stephan lobend genickt hatte. Aber gerade erhob sich eine dunkelhaarige Frau vom Sitz neben dem Herzog und belohnte von Rennes zusätzlich, indem sie ihm eine schwere Goldkette um den Hals legte.
»Die Herzogin Elisabeth. Herrn Adrians Minneherrin!«, erklärte der Knappe gewichtig. Die kleine Daphne schien ihm zu gefallen; anscheinend hatte er noch nicht gemerkt, dass sie Jüdin war. »Er reitet unter ihrem Zeichen in den Kampf!«
Daphne lauschte mit offenem Mund und glühenden Augen, während Kahlbach sich eher stirnrunzelnd an einen der Herolde wandte, der im Schatten neben dem Stand das Geschehen verfolgte.
»Im Ernst? So offen betreiben sie das
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