Die Pestärztin
lernen das nicht«, sagte sie, und kaum verhehlte Verachtung für die Juden schwang in ihrer Stimme mit. »Ein Mädchen meines Standes ...«
Lucia blitzte sie an. »Jüdische Mädchen lernen das auch nicht! Und jüdische Jungen würden vielleicht gern etwas anderes lernen, wenn Menschen Eures Standes ihnen nicht fast jedes andere ehrliche Gewerbe verboten hätten!«
Die Frau senkte den Kopf. »Ich bitte um Vergebung. Ich wollte Euch nicht zu nahe treten. Ich weiß nichts von diesen Dingen.«
»Dann solltet Ihr schneller lernen!«, sagte Lucia hart. »Sonst ist Euer Schmuck irgendwann weg. Und wo nehmt Ihr dann das Geld her, das Ihr so offensichtlich braucht?«
»Ich brauche es nicht für mich«, flüsterte die Frau. »Und ich werde Euren Rat beherzigen ...«
Sie nahm ihr Geld und ließ eine ziemlich verblüffte Lucia zurück. Ihre Worte waren unverschämt gewesen. Eine adlige Frau hätte sie sonst scharf dafür gerügt - vielleicht hätte sie sogar veranlassen können, sie züchtigen zu lassen. Lucia kannte die Regeln in Landshut nicht. Aber diese Frau dachte nicht mehr an ihren Rang. Sie war verzweifelt, und jemand musste sie zutiefst gedemütigt haben. Lucia wurde inzwischen von Neugier zerfressen. Sie wollte unbedingt wissen, was es mit dieser Frau auf sich hatte.
Als die Unbekannte das nächste Mal in die Pfandleihe kam, half Lucia Zacharias im Laden und konnte deshalb keinen Einfluss auf die Verhandlungen nehmen. Die Frau versetzte einen mit Edelsteinen geschmückten Gürtel, wieder ein außerordentlich wertvolles Stück. Zacharias fertigte sie allerdings genau so grob ab wie beim letzten Mal und zahlte ihr nur einen Bruchteil dessen, was der Gürtel unzweifelhaft wert war.
Die Frau machte allerdings wieder keine Anstalten, sich zu wehren und womöglich laut zu werden. Sie wirkte gebückt und müde, als ob etwas sie niederdrückte. Und Lucia konnte sich nun nicht mehr beherrschen. Sie wollte wissen, was es damit auf sich hatte! So verabschiedete sie sich auch rasch von Zacharias, nachdem die Dame gegangen war. Eine Ausrede brauchte sie nicht extra zu suchen. Ihr Maultier stand bereits vor der Tür, und sie hatte ihre Satteltaschen eben mit verschiedenen Gegenständen gefüllt, die sie einem anderen Händler überbringen sollte. Aber das konnte warten. Zunächst würde sie der geheimnisvollen Frau folgen.
Das gesattelte Maultier erwies sich dabei als Glücksfall, denn tatsächlich war auch die Frau beritten. Sie lief nur bis zu einem Mietstall knapp außerhalb des Judenviertels und nahm dort eine schöne, milchweiße Stute in Empfang. Der Stallvermieter tat äußerst devot, aber die Frau ließ sich nicht von ihm helfen, sondern schwang sich allein in den Sattel. Den Schleier ließ sie dabei nicht sinken, und es war auch wieder die Version mit dem Sehschlitz. Lucia fand das schade. Den extrem dichten Gazeschleier ihrer ersten Begegnung hätte die Frau beim Reiten abnehmen müssen - schon um zu sehen, wohin das Pferd seine Hufe setzte. So aber konnte sie unerkannt bleiben, auch wenn sie länger zu Pferde saß.
Immerhin verhinderte der schwarze Kopfschmuck jede seitliche Orientierung. Die Frau konnte also nicht ohne weiteres bemerken, dass Lucia ihr folgte. Sie ritt nun zügig durch die Stadt und verließ sie durch das nächstbeste Tor. Danach beschleunigte sie noch mehr. Sie folgte dem Fluss nach Norden.
Lucia trieb ihr Maultier an. Auch die Frau ritt einen Zelter, aber die milchweiße Stute war deutlich schneller als Pia. Ein außergewöhnliches Pferd und sehr auffällig. Es war zweifellos unklug, ein solches Tier für heimliche Ausflüge zu nutzen. Auch dieser Umstand bestätigte Lucia in ihrer Annahme: Diese Frau war nicht berechnend und auf Abenteuer aus. Ihr Geheimnis musste ernsterer Natur sein.
Lucia folgte ihr an der Isar entlang, dann durch das sommerliche Hügelland. Es war ein klarer Tag; man konnte die Berge sehen, und die Wiesen und Weiden waren mit Blüten übersät. Lucia genoss den Ritt, der abwechselnd durch lichte Wäldchen und über freies Land führte, aber die Frau vor ihr schien all die Schönheit gar nicht zu bemerken. Nach einer halben Stunde begann Lucia, sich Sorgen zu machen. Wenn die Frau noch sehr viel weiter ritt, musste sie umkehren. Zu lange auszubleiben wagte sie nicht, schon, weil sie Leona noch stillte.
Aber dann kam doch sehr schnell das Ziel der Reiterin in Sicht. Lucia erkannte die weitläufigen Gebäude des Klosters Seligenthal. Und ihre Unbekannte ritt genau
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