Die Pestärztin
darauf zu. Sie verhielt ihr Pferd vor der Pforte und stieg ab, um anzuklopfen. Das schwere Tor zum Hof des Klosters öffnete sich umgehend. Die Frau führte ihr Pferd hinein und war verschwunden.
Lucia blieb verblüfft zurück. Sie hatte genug Geistesgegenwart gehabt, ihr Maultier rechtzeitig zu verhalten, sodass man sie nicht hatte sehen können. Aber was machte ihre Unbekannte im Kloster? Handelte es sich womöglich um eine Nonne? War bereits eingetreten, was Zacharias für sie vorausgesagt hatte? Es kam durchaus vor, dass adlige Herren ihrer Frauen überdrüssig wurden und sie dann unter fadenscheinigen Vorwürfen in irgendeinem Stift lebendig begruben. Die Frau musste sich da gar nicht schuldig gemacht haben ...
Aber würde man einer Nonne ihren Schmuck lassen? Und obendrein das edle Pferd? Lucia hielt das für ausgeschlossen. Und selbst wenn es der Frau gelungen sein sollte, ein paar Wertgegenstände mit ins Exil zu nehmen: Um aus dem Kloster zu fliehen, würde sie den Schmuck auf einen Schlag zu Geld machen und nicht im Laufe mehrerer Wochen. Außerdem käme sie dann kaum mit dem Geld hierher zurück ...
Lucia hätte zu gern gewartet, bis ihre geheimnisvolle Kundin das Kloster wieder verließ. Dann hätte sie ihre Spuren weiter verfolgen können. Aber sie sah selbst ein, dass dies Unsinn wäre. Die Frau mochte Stunden im Kloster verbringen, oder sie wohnte tatsächlich dort. Lucia dagegen konnte sich nicht leisten, zu spät nach Landshut zurückzukehren. Selbst wenn sie die Erledigung ihres Auftrags auf morgen verschob: Nach Einbruch der Dunkelheit wurde das Judenviertel geschlossen! Die Levins würden sich um Lea zu Tode fürchten, und Leona würde hungern ...
Lucia kehrte also widerstrebend um und ritt zurück in die Stadt. Dabei war sie schneller, als sie errechnet hatte; es würde noch stundenlang hell bleiben, nachdem sie die Waren abgeliefert hatte. Auch Leona erwies sich als ruhig und gut versorgt. Sowohl Daphne als auch die Hausmagd brannten darauf, sie weiter zu betreuen, nachdem Lucia sie gestillt hatte. Die junge Frau beschloss daraufhin, in die Pfandleihe zurückzukehren. Vielleicht konnte sie sich da ja noch nützlich machen.
Zacharias Levin war erfreut, sie zu sehen.
»Lea, meine Liebe, was für ein Glück, dass du noch vorbeischaust! Sag, würdest du noch einmal einen Botendienst für mich übernehmen? Ich hatte dem Rabbi versprochen, diesen Brief heute noch zu besorgen, ich wollte persönlich zur Burg reiten. Aber dann ging es hier zu wie im Bienenstock. Könntest du das Schreiben vielleicht noch abliefern? Es müsste vor Sonnenuntergang zu schaffen sein.«
Lucia blickte prüfend gen Himmel, aber Levin hatte recht. Die Sonne stand noch nicht allzu weit im Westen.
»Was ist denn so dringend an dem Brief?«, erkundigte sie sich, während Levin ihr einen reich verzierten Umschlag reichte.
Der Pfandleiher zuckte die Achseln. »Eigentlich nichts, die Herzöge werden unserer Bitte ohnehin nicht stattgeben. Sie haben die Juden von Landshut wieder mal neu besteuert und obendrein die Gesetze gegen uns verschärft. Wir haben darüber beraten und Moses von Kahlbach gestern als Bittsteller zum Herzog geschickt ...«
Abrahams erheblich älterer Bruder hatte seine Handelsreisen vor kurzem eingestellt und war nun Vorsitzender des örtlichen Judenrates.
»Die Herzöge haben ihn auch angehört, sich aber vorerst nicht geäußert. Wir sollen unser Anliegen in schriftlicher Form einreichen, dann würde man es prüfen. Nun hat Moses es gleich niedergeschrieben. Aber ob das etwas hilft? Jedenfalls wollen wir der Sache ein bisschen Dringlichkeit geben und den Brief sofort zustellen. Es mag ja sein, dass Gott ein Wunder tut, und Herzog Stephan liest ihn tatsächlich.« Levin machte eine bittende Geste zum Himmel hin.
»Kann er lesen?«, fragte Lucia sachlich. Die meisten christlichen Adeligen konnten es nicht.
»Sein Verwalter wird es können. Er ist ein guter und gerechter Mann, es hört bloß niemand auf ihn. Oder sein Hauskaplan, wobei der wieder nichts für uns Juden übrig hat ... Im Grunde ist es hoffnungslos, aber wir wollen uns nicht vorwerfen lassen, wir hätten nicht alles getan!«
Die Entscheidungen und Vorstöße des Judenrates wurden in der Gemeinde diskutiert. Die Mitglieder des Rates waren gewählte Vertreter der jüdischen Bürger.
Lucia nickte. »Dann mache ich mich mal auf den Weg«, meinte sie und freute sich im Stillen auf den erneuten Ausritt. Pia war noch frisch; sie würde den Weg
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