Die Pestärztin
anzusehen. Und dann achteten sie meist eher auf ihren Schmuck und ihre unschätzbar wertvolle Kleidung als auf ihre Gesichter. Die einzige Beschreibung, die man anschließend erhielt, war die, dass die Herzogin und ihre Hofdamen einfach überirdisch schön gewesen seien ...
Die Frau auf der Stute befand sich nun unmittelbar vor Lucias Maultier - und erstarrte, als sie ihrer ansichtig wurde. Natürlich, die Fremde erkannte die Jüdin aus der Pfandleihe.
Aber auch Lucia hatte das Gefühl, als setzte ihr Herzschlag einen Augenblick lang aus. Sie hatte diese Frau schon einmal gesehen! Aus solcher Nähe, dass sie sogar das Entsetzen auf ihrem Gesicht erkennen konnte, als der Herzog ihren Ritter forderte!
Das blasse, schmale Gesicht unter den warmen braunen Augen, der fein geschnittene Mund, die kleine, gerade Nase und die zart geschwungenen Augenbrauen gehörten Elisabeth, der Herzogin von Bayern!
Lucia überlegte, was sie sagen oder tun konnte, um der Edelfrau die Angst zu nehmen, die sich jetzt deutlich in ihren Zügen abzeichnete. Dabei musste die Herzogin doch annehmen, dass Lucia ihr Gesicht nie gesehen hatte! Elisabeth hatte wirklich kein Talent für Heimlichkeiten.
Lucia verbeugte sich so tief, wie ihr Sattel es erlaubte.
»Seid gegrüßt, Herzogin ...«, sagte sie unterwürfig. Dabei wusste sie nicht genau, ob dies die richtige Anrede war.
Die Herzogin schien etwas erwidern zu wollen, brachte aber kein Wort heraus.
Vielleicht, wenn man sie auf etwas Persönliches ansprach? Etwas, das nichts mit der Pfandleihe zu tun hatte?
»Wie geht es Eurem Minneherrn von ... von Rennes, nicht wahr? Ich ...« Lucia wollte sagen, dass sie ihn auf dem Turnier hatte kämpfen sehen und ein paar Schmeicheleien anführen, doch als sie Adrian von Rennes erwähnte, wich alle Farbe aus Elisabeths Gesicht.
»Ihr ... Ihr wisst?« Die Stimme der Herzogin klang schrill, als sie Lucia ins Wort fiel. Ihre Hände krampften sich um die Zügel ihrer Stute. Die Zelterin tänzelte.
Lucia lächelte. »Man sagt, die Juden in einer Stadt wüssten so ziemlich alles«, bemerkte sie. Die Herzogin konnte nicht wirklich glauben, ihre Zuneigung zu dem jungen Ritter sei dem Volk verborgen geblieben!
Elisabeth schluckte. Sie zitterte jetzt, und auf ihren Wangen erschienen hektische rote Flecken.
»Also gut, Mädchen. Wie viel? Was willst du haben? Sag es mir, dann versuche ich zu tun, was ich kann. Ich bezahle für dein Schweigen, aber du musst mir versichern ...«
Der Herzogin stiegen Tränen in die Augen. Verhandlungsgeschick hatte sie jedenfalls keines. Jeder wirkliche Erpresser hätte den Preis jetzt himmelhoch steigen lassen.
Lucia jedoch empfand nur Scham und Mitgefühl.
»Bitte, Herzogin, beruhigt Euch!« Sie lenkte Pia näher an Elisabeths Zelterin heran und versuchte, ihr gerade in die Augen zu blicken. »Ich will überhaupt nichts haben! Und ich weiß auch nicht wirklich etwas. Das war nur so dahingesagt ...«
Die Herzogin sah sie ungläubig an, fast wie ein Tier in der Falle, dem sich nun doch noch ein Ausweg zu bieten schien.
»Aber ... aber Ihr kennt Herrn von Rennes?«
Lucia schüttelte den Kopf. »Nicht einmal das, Herrin. Ich sah ihn nur einmal bei Eurem Turnier. Er erschien mir freundlich. Und er erinnerte mich vage an jemanden, der mir einmal lieb und teuer war. Aber ich habe nie auch nur ein Wort mit ihm gewechselt, das schwöre ich Euch!«
Elisabeths Gesicht und ihre ganze Haltung spiegelten ihre Erleichterung.
»Ihr wisst also nichts von seinem Verbleib?«, vergewisserte sie sich noch einmal.
Lucia verneinte erneut. »Ich weiß gar nichts.«
Die Herzogin atmete auf. »Dann ist es auch besser, Ihr verbleibt in dieser Unkenntnis!«
Sie wusste offensichtlich nicht, wie sie dieses Gespräch auf höfliche Weise beenden sollte. Während Lucia sich noch Grußworte und vielleicht eine beruhigende Bemerkung zurechtlegte, gab Elisabeth ihrem Pferd die Sporen. Die milchweiße Stute sprengte zur Burg hinauf.
7
E s wurde Herbst, bevor Lucia die Herzogin in der Pfandleihe wieder traf. Vielleicht war sie zwischendurch da gewesen, aber Lucia mochte ihren Onkel nicht nach der geheimnisvollen Unbekannten fragen. Dafür versuchte sie, das Gespräch der Frauen nach dem Besuch der Synagoge oder bei Festlichkeiten auf die Herzogin und ihren Ritter zu bringen. Wobei ihr zugutekam, dass auch Daphne höchlichst am Schicksal ihres Schwarmes interessiert war. Wenn sie das Turnier, die Burg oder die Herzogin nur erwähnte, stellte die
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