Die Pestärztin
hinauf zur Burg in kurzer Zeit bewältigen. »Wem soll ich das Schreiben noch mal geben? Dem Schatzmeister?«
Tatsächlich verlief der erneute Botengang ohne Komplikationen. Lucia wurde nicht aufgehalten, und der Schatzmeister schien auch nicht zu den christlichen Würdenträgern zu gehören, die Juden gern schikanierten. Nachdem eine Magd Lucia den Weg gewiesen hatte, traf sie ihn bei der Inspektion der Burgwache. Heinrich von Hohenthann war nicht mehr der jüngste, aber kräftig und hoch gewachsen. Er musterte die ungewöhnliche Botin der Judengemeinde mit prüfendem Blick, in dem fast Verwunderung mitschwang, aber er war freundlich, als er den Brief in Empfang nahm. Tatsächlich quittierte er Lucia sogar den Eingang, ohne dass sie extra darum bitten musste. Sie folgte ihm in sein Kontor, wobei er ihr immer wieder verwirrte Blicke zuwarf. Lucia wurde das langsam unheimlich. Aber dann raffte er sich doch noch zu einer Frage auf.
»Wo habe ich dich schon einmal gesehen, Mädchen? Ich zermartere mir den Kopf, aber es will mir nicht einfallen. Du bist wirklich Jüdin?«
Letzteres war an den Judenzeichen auf Lucias Kleidung unschwer zu erkennen. Lucia fragte sich, weshalb er daran zu zweifeln schien. Natürlich war sie blond und blauäugig, während man den Juden sonst eher dunkles Haar und dunklen Teint zusprach. Aber dieser Mann musste wissen, dass es in der Gemeinde Landshut viele hellhäutige Jüdinnen gab.
»Ich glaube nicht, dass wir einander schon einmal getroffen haben, Herr«, erklärte sie artig. »Ich bin eine Nichte des Meisters Zacharias ... ich komme aus Mainz. Allerdings habe ich Reb Kahlbach zum Frühjahrsturnier begleitet. Vielleicht habt Ihr mich da gesehen ...«
Lucia hoffte es nicht. Schließlich hatte sie an diesem Tag nicht den besten Eindruck hinterlassen. Ihr selbst war der Schatzmeister auch nicht aufgefallen, aber das musste nichts bedeuten.
Der Mann runzelte die Stirn. »Ein Turnier ... ja, das könnte sein. Aber ich dachte, ich hätte dich früher ... Nein, das ist Unsinn! Die Frau, die ich meinte, müsste heute deutlich älter sein. Eine vage Ähnlichkeit ... Hör nicht auf das Geschwätz eines alten Mannes ...« Er lächelte ihr zu. »Willst du einen Passierschein, falls du zu spät ins Ghetto kommst?«
Lucia sah den Mann offen an. »Zu den Bitten, die wir in diesem Brief äußern, gehört eine längere Öffnung des Judenviertels ... «, bemerkte sie.
Von Hohenthann nickte mit beinahe schuldbewusstem Ausdruck. »Ich weiß, Mädchen, und ich halte vieles für unklug, was deinem Volk geschieht. Aber ich kann es nicht ändern. Sag deinem Onkel nur meinen Gruß und versichere ihm, ich werde den Herzögen den Brief vorlesen und besonders Herrn Stephan noch mal darauf ansprechen. Wie er dann entscheidet ...«
Während der Mann sprach, kritzelte er rasch etwas auf ein Pergament und reichte Lucia den Passierschein. Sie würde sich auf dem Heimweg nicht beeilen müssen.
So nahm sie sich denn auch Zeit, den Ausblick von der Burg auf die Stadt Landshut zu genießen, während Pia sich ihren Weg suchte. Die Ansiedlung bot einen lieblichen Anblick, wie sie da auf beiden Seiten der Isar lag, die Mühleninsel in der Mitte des Flusses. Von hier oben waren alle Viertel gleich, und die Stadtmauer bot allen denselben Schutz. Warum konnten die Bürger nur nicht in Frieden miteinander leben?
Dann unterbrachen Hufschläge ihre Überlegungen. Auf der Straße zur Burg näherte sich ein Pferd, ein Schimmel. Lucia konnte es zunächst kaum glauben, aber sie kannte das Tier, das hier raschen Schrittes die Anhöhe erklomm. Die weiße Stute der Unbekannten. Auch die Reiterin war zweifellos die gleiche. Das dunkle Kleid aus bestem Tuch, der weite Mantel und der Schleier, der ihr Haar und ihr Gesicht jetzt aber nicht mehr bedeckte, sondern locker über ihren Rücken hing. Die Frau hatte dunkles Haar, das sie am Morgen offenbar aufgesteckt hatte. Durch den langen, schnellen Ritt hatten sich jedoch Strähnen gelöst, und die Reiterin hatte keine Zeit daran verschwendet, sie wieder aufzustecken. Stattdessen ließ sie ihr Haar im Wind wehen und genoss zweifellos die abendliche Kühle. Sie musste unter dem Schleier geschwitzt haben.
Lucias Herz klopfte heftig, als die Stute der Unbekannten näher kam. Gleich würde sie ihr Gesicht sehen, hielt es jedoch für unwahrscheinlich, dass sie es erkannte. Die Bürger von Landshut kamen höchstens bei Hoffesten oder Turnieren in den Genuss, sich die Edelfrauen näher
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