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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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nicht aus.
    Deshalb übergab Lucia ihre Tochter immer öfter einem der unterbeschäftigten Hausmädchen und der hingerissenen Daphne als »Kinderfrau« und folgte Zacharias Levin in seine Pfandleihe. Hier konnte sie sich bald nützlich machen. Sie lernte schnell, wie viele Pfennige oder gar Mark ein Pfand wert war, und sehr bald konnte sie auch einschätzen, ob der Schuldner beabsichtigte, es wieder einzulösen oder nicht. Im letzteren Fall bot Levin weniger Geld; schließlich machte es Arbeit, die Wertgegenstände später wieder umzusetzen. Zacharias machte auch Unterschiede zwischen Adeligen und Bürgern, Christen und Juden. Letztere kamen allerdings selten. Sie konnten fast durchweg besser rechnen als ihre christlichen Nachbarn, neigten weniger zu spontanen finanziellen Transaktionen und verloren ihr Kapital vor allem nicht durch Wetten, Spiele und Turnierkämpfe. Ein Jude, der Geld brauchte, versetzte keine Wertgegenstände, sondern nahm meist einen Kredit auf. Das hätte natürlich auch den christlichen Bürgern von Landshut offen gestanden; viele Juden verliehen Geld gegen Zinsen. Wenn die Leute sich trotzdem eher an Levin wandten, so lag es daran, dass ihre Geschäfte meist von Heimlichkeiten umgeben waren. Ein Mann hatte Geld verspielt - und versetzte eine wertvolle Waffe, damit seine Frau nicht dahinterkam. Eine Frau hatte ihren Gatten betrogen - und brauchte nun die Hilfe einer Engelmacherin. Dafür wanderte ein Stück ihrer Aussteuer in den Laden der Levins.
    Die Männer lösten diese Pfänder meist irgendwann wieder ein, die Frauen fast nie. Ihr Haushaltsgeld war schließlich knapp bemessen; sie konnten nicht viel davon sparen. Und auch die Adligen erwiesen sich als schlechte Zahler. Sie hielten ihr Geld nicht zusammen. Wenn sie Münzen in der Hand hatten, warfen sie damit um sich, ohne an morgen zu denken. Kluge Investitionen waren ihnen fremd; sie hielten es schon für den Gipfel der Überlegung, Geld in ein neues Streitross zu stecken, mit dem sie dann hofften, beim nächsten Turnier endlich einmal zu siegen.
    Zacharias war deshalb streng mit seinen hochwohlgeborenen Kunden. Auch die tief verschleierte Frau, die Lucia eines Morgens in seinem Kontor antraf, schien nicht zufrieden mit seinem Gebot.
    »Diese Kette ist sicher das Doppelte wert!«, meinte sie verzweifelt, während Zacharias den schweren Halsschmuck in der Hand wog. Der Pfandleiher hatte ihr eben 240 Pfennige, also eine Mark, dafür geboten. Das war der Preis für ein Pfund Silber, und die Kette mochte auch ungefähr auf dieses Gewicht kommen. Sie war jedoch aus reinem Gold.
    »Das ist richtig, Herrin«, räumte Levin denn auch ein. »Aber ich muss erst jemanden finden, der mir die Kette abkauft. Ein schönes Stück, aber ein seltenes. So was verkaufe ich nicht alle Tage. Und Ihr gedenkt doch sicher nicht, es wieder einzulösen, oder?«
    Lucia konnte die Gesichtszüge der Frau nicht erkennen; sie verbarg sich gänzlich hinter einem dichten dunkelblauen Gazegespinst, durch das sie wahrscheinlich kaum etwas sehen konnte. Doch ihre ganze Haltung spiegelte Verzweiflung.
    »Ich tue mein Bestes, Meister Levin. Aber Frauen meines Standes besitzen Schmuck, kein Geld! Ich halte nur selten Münzen in Händen, außer wenn ich bei Euch gewesen bin. Also ...«
    »Also werde ich die Kette weiterverkaufen müssen«, brummte Levin. »Und wie viel ich dafür erziele, ist gänzlich unsicher. Nein, glaubt mir, mit einer Mark seid Ihr gut bedient!«
    Lucia dachte an den Pfandleiher in Rüsselsheim und ihren Leuchter. Irrte sie sich, oder schwang auch in Levins Stimme Missbilligung mit? Was hatte er gegen diese Frau?
    »Aber das ist wirklich ein erlesenes Stück!«, mischte Lucia sich ein und lächelte der Kundin zu. »Willst du es dir nicht noch mal überlegen, Onkel? Wie wäre es, wenn du es auf eine Mark und hundertzwanzig Silberpfennig einschätzt? Wäre das nicht gerechter?«
    Levin verzog den Mund. »So weit kommt es noch, Lea, dass du mir vorhältst, was Recht und Unrecht ist! Aber gut, ich will nicht so sein. Dreihundertvierzig Silberpfennig. Keinen einzigen mehr!«
    Die Frau nahm das Geld und bedankte sich erleichtert. Lucia war so viel Unterwürfigkeit von dieser offensichtlich reichen Edelfrau beinahe peinlich. Sie sah ihr neugierig nach, als sie ging.
    »Was für ein Missgeschick mag ihr wohl widerfahren sein, dass sie so dringend Geld braucht?«, fragte sie sinnend.
    Zacharias stieß scharf die Luft durch die Nase aus.
    »Na, was wohl, sie

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