Die Pestärztin
Wissen aber auch nicht her zu sein«, rutschte es ihr heraus. »Wer eine Küste wirklich kennt, lässt sich kaum von Piraten ausrauben!«
Tibbon zog die Augenbrauen hoch. »Piraten? Haben wir da im Moment Probleme, Yakov? Ich dachte, die spanische Flotte hätte gründlich mit denen aufgeräumt, nachdem sie im letzten Jahr den Handel mit Venedig um die Hälfte haben schrumpfen lassen. Und unsere Schiffe haben auch ein paar niedergemacht.«
Yakov nickte. »Soweit ich weiß, gab es keine Piratenüberfälle in den letzten vier Monden. Ein so seltenes Vorkommnis, dass man darüber spricht!« Er lachte.
Lucia biss sich auf die Lippen.
»Aber mein Verlobter ... das Schiff meines Verlobten wurde vor einem Ort namens Murcia überfallen. Im Monat vor Chanukka. Die dortige Gemeinde hat ihn aufgenommen und das Lösegeld für ihn bezahlt.«
Yakov runzelte die Stirn. »Bist du sicher, Sayyida, dass du das richtig verstanden hast? Wir haben gute Kontakte nach Murcia, der Rabbi der dortigen Gemeinde ist ein Onkel meiner Frau. Wenn in der Gegend eine Galeere aufgebracht worden wäre, hätte ich es erfahren. Und Lösegelder ... Also, an Piraten glaube ich in diesem Fall nicht. Wenn da tatsächlich ein Schiff überfallen wurde, dann waren es die Kastilier selbst. Das kommt schon mal vor; sie missgönnen uns die Handelsbeziehungen nach Venedig. Aber in aller Regel machen sie keine Gefangenen. Es wäre doch viel zu peinlich, wenn jemand herausbekommt, wer da im Namen des Königs vor der eigenen Küste plündert! Die Geschichte scheint mir mehr als seltsam, Sayyida.«
»Willst du nicht mal übersetzen, Lea?«, fragte Zacharias mit mildem Tadel. »Es ist schön, dass du unsere Gäste unterhältst, aber wir langweilen uns, wenn ...«
Lucia wäre am liebsten aufgestanden und hätte sich in ihrem Zimmer verschanzt. Was sie da erfahren hatte, war ungeheuerlich. Sie musste darüber nachdenken - und vielleicht Konsequenzen ziehen. Wenn diese Männer recht hatten, hatte es nie einen Überfall gegeben! Dann hatte Abraham ihr Geld nicht verloren, sondern eher satten Gewinn gemacht. Doch ihren Anteil behielt er ihr vor, um sie zur Einwilligung in die Heirat zu nötigen! Kein Wunder, dass er so bereitwillig versprochen hatte, Leona das Geld nach seinem Tod zurückzuerstatten.
»Lea?«, fragte Hannah freundlich. »Wo bist du nur mit deinen Gedanken?«
Lucia fühlte brennenden Zorn in sich aufsteigen. Aber sie musste sich beherrschen. So übersetzte sie in großem Rahmen, was die Männer über Abraham gesagt hatten. Die Geschichte mit der Galeere ließ sie aus. Obwohl Zacharias Levin ein Verbündeter sein mochte. Schließlich hatte Abraham auch seinen Anteil veruntreut. Oder wusste Leas Onkel womöglich Bescheid? Lucia wollte das nicht glauben.
Yakov und Tibbon fügten inzwischen ein paar Einzelheiten über Abrahams letzte Transaktionen in Al Andalus hinzu. Der Landshuter hatte tatsächlich gute Geschäfte gemacht; auch Yakov hatte ihm ein paar mechanische Spielzeuge verkauft. Lucia dachte an das winzige Fernglas, das Abraham Leona geschenkt hatte ...
Der Abend schien sich endlos hinzuziehen. Schließlich entschuldigte Lucia sich mit Hinweis auf die morgige Feier. Wenn sie bloß gewusst hätte, was sie tun sollte! Mit Zacharias sprechen? Mit Moses? Oder Abraham mit Yakof und Tibbon konfrontieren? Letzteres erschien ihr die beste Lösung. Sollte er doch sehen, wie er sich aus der Sache herausredete! Das Ganze hatte nur einen Haken. Sie würde Abraham morgen vor der Eheschließung nicht sehen. Erst unter dem Hochzeitsbaldachin wurden Mann und Frau zusammengeführt. Alles andere bedeutete Unglück. Doch ein größeres Unglück als durch eine Hochzeit unter falschen Vorzeichen konnte ihr eigentlich gar nicht zustoßen. Sie musste Abraham ins Haus der Levins bestellen. Vor der Trauung. Und sie musste Tibbon und Yakov hinzurufen.
Aber halt ... vielleicht brauchte sie da gar nicht so viel zu arrangieren! Wenn Abraham ein schlechtes Gewissen hatte, würde er auftauchen, sobald er von den maurischen Gästen hörte. Und davon, wie flüssig »Lea« sich mit ihnen zu unterhalten verstand, hatte Moses ihm zweifellos auch schon berichtet. Wahrscheinlich würde der Bräutigam lange vor der Trauung kommen, versuchen, die Männer auszuhorchen und sie vor allem von seiner künftigen Gattin fernzuhalten.
Lucia brauchte im Grunde nur die Hochzeitsgesellschaft im Auge zu behalten, ehe man sie ihrem künftigen Gatten zuführte! Sobald er mit den Brüdern
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