Die Pestärztin
Anweisungen zu erteilen. Vielleicht hatte sie ja Zugang zur Herzogin und war ehrlich genug, ihr den Haarreif anzuvertrauen.
»Wo ist denn ...«
»Der Keller? Da runter!« Gretel wies auf einen Gang, der wohl zur Treppe in die unteren Gewölbe führte. Dann wandte sie sich wieder ihrem Karl zu. Der Junge schien jedoch ein gutmütiger Kerl zu sein. Als er sah, wie Lucia Leona wieder aufnahm und das Kind das Mündchen verzog, weil es die Küche hungrig verlassen sollte, griff er ein.
»Gretel, die Kleine kann doch bleiben. Gib ihr was zu essen. Die Frau kommt aus Regensburg, und das Kind ist halb verhungert. Willst du auch noch etwas, bevor du die Anna suchen gehst?«, wandte er sich an Lucia.
Lucia schüttelte den Kopf. Zwar fühlte sie sich schwach vor Hunger, aber es war sicher besser, Anna im oder vor dem Weinkeller zu sprechen, als in den Kemenaten der Edelfrauen nach ihr zu suchen.
»Aber wenn Ihr auf das Kind achten würdet?« Sie übergab Leona an Gretel, die nicht recht wusste, was sie mit ihr anfangen sollte. Dafür griff eine ältere Frau, die eben in einem Suppentopf rührte, ganz selbstverständlich zu, setzte die Kleine auf einen Tisch neben dem Herd und füllte ihr eine Schale Suppe, in die sie Brot brockte.
»Ich pass auf sie auf, Gevatterin. Hab selbst fünf von der Sorte!«
Lucia bedankte sich und stieg dann zögernd die Stufen hinunter. Eigentlich hätte sie ein Licht gebraucht; die wenigen Fackeln, die an den Wänden brannten, erleuchteten den Gang nur schwach und verbreiteten dichten Rauch.
Allerdings waren gleich im ersten Kellergelass Stimmen zu hören.
»Gib mir noch einen Schluck von dem ersten, Kellermeister, ich kann mich nicht entscheiden«, sagte eine Frauenstimme. »Der hier ist süffiger, aber der andere hat mehr Körper. Ich denke, meiner Herrin wird jener besser munden.«
»Probier sie nur alle durch, Anna!«, brummte der Mundschenk. »Aber lass noch ein bisschen für deine Herrin übrig.«
Lucia brachte die letzten Treppenstufen hinter sich und trat in den Kellerraum. Er diente offensichtlich der Weinprobe; an den Wänden standen gewaltige Fässer, und in der Mitte befand sich ein Tisch mit ein paar Bechern darauf. Eine füllige, ältere Frau bediente sich gerade aus einem Krug Wein, während ein kräftiger, rotgesichtiger Mann eine weitere Probe aus einem der Fässer zog.
»Ge ... Gevatterin Anna?«, fragte Lucia schüchtern.
Sie wollte sich eben vorstellen, doch Annas Reaktion auf ihren Anblick ließ sie erschrocken innehalten.
»Meiner Treu! Kellermeister! Ein Geist!« Anna wich zurück und ließ dabei ihren Becher fallen. Er fiel polternd zu Boden, zerbrach aber nicht.
»Was ... was wollt Ihr hier? Was hab ich getan, dass Ihr mich heimsucht ...?« Die alte Magd schien völlig außer sich. Sie stieß beim Zurückgehen an eins der Fässer und erschrak dabei fast zu Tode.
Der Mundschenk blickte Lucia nun ebenfalls an. Er schien allerdings nicht mehr zu erkennen als ein blondes, dunkel gekleidetes Mädchen im flackernden Fackelschein.
»Was soll das, Anna? Du hattest doch nur zwei Gläser! So betrunken kannst du noch nicht sein, dass du Gespenster siehst!«, brummte er.
»Aber sie ist es ... sie ist ... mein Gott, es ist die kleine Oettingen, kein Zweifel. Und sie muss ein Geist sein! Nach mehr als zwanzig Jahren sähe sie sonst nicht so jung aus. Jesus, Maria und Josef, bittet für mich! Ich will all meine Sünden bereuen, ich will nie wieder ... « Anna ließ sich auf die Knie nieder, wusste aber offensichtlich nicht, an wen genau sie ihre Bitten richten sollte. Ein Weinkeller war schließlich keine Kapelle.
Der Mundschenk fasste sich an die Stirn.
»Vielleicht verratet Ihr uns, wer Ihr wirklich seid«, wandte er sich an Lucia. »Dann findet Anna vielleicht wieder zu sich. Offenbar hat sie dem Wein schon in der Kemenate ihrer Herrin übermäßig zugesprochen.«
»Ich bin nicht betrunken, du vorlauter Bengel! Aber siehst du denn nicht ...« Anna bekreuzigte sich immer wieder.
»Ich bin Lucia von Mainz«, gab Lucia verwirrt Auskunft. »Und ich bin aus Fleisch und Blut, Gevatterin. Seht mich nur einmal richtig an. Sicher verwechselt Ihr mich mit jemandem.«
Sie trat vorsichtig näher an die alte Frau heran und hob die Hand. Anna blickte immer noch misstrauisch, aber wenigstens registrierte sie, dass Lucia sich auf den Beinen bewegte, statt zu fliegen, und auch ihr Körper zeigte mehr Form, als sie nun aus dem Rauch der Fackeln heraus in den besser beleuchteten
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