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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Kellerraum trat.
    Schließlich wagte es Anna, Lucia genauer zu mustern. Sie fixierte das Mädchen aus wachen, hellen Augen, die nicht vom Wein verschleiert wirkten. Anna hatte ein rundes, gutmütiges Gesicht, noch fast faltenlos, mit breiten Lippen und fleischiger Nase. Ihr Haar war grau und kraus. Ein paar vorwitzige Locken stahlen sich unter ihrer sonst ordentlichen Haube hervor. Sie trug das schlichte, gediegene Gewand einer Kammerfrau.
    »Tatsächlich, Kind, verzeiht einer dummen, alten Frau!«, meinte sie schließlich mit einem erleichterten, wenn auch nervösen Lachen. Anna musste klar sein, dass sie sich eben unendlich kompromittiert hatte: Wenn der Kellermeister die Sache weitererzählte, würde die ganze Burg über sie lachen. »Wenn ich Euch so im Licht sehe ... Euer Gesicht ist schmaler, ihres war mehr herzförmig. Und ihre Nase war etwas spitzer. Aber die Augen ... der Mund! Eine unfassbare Ähnlichkeit! Ich glaubte, die Kleine von der Harburg wieder vor mir zu sehen. Ein so entzückendes Mädchen ... Euer Haar ist ebenfalls blond, nicht wahr?«
    Lucia hatte ihr Haar unordentlich unter die Haube gestopft, als sie aus dem Hause der Levins geflohen war. Ein paar Strähnen hatten sich befreit, aber das Licht im Keller war sicher nicht gut genug, um die Farben wirklich erkennen zu können.
    Lucia nickte. »Doch, mein Haar ist blond. Aber ich kenne niemanden namens Oettingen ... oder von der Harburg. Von einem solchen Flecken hab ich nie gehört. Ich bin aus dem Rheinland, Gevatterin, aus Mainz.«
    »Und was sucht Ihr dann hier?«, murrte der Kellermeister. »Außer alte Frauen zu erschrecken?« Trotz seiner Bärbeißigkeit schien er sich um Anna zu sorgen. Wie beiläufig schob er ihr einen frisch bis zum Rand gefüllten Becher Wein zu - und füllte dann widerstrebend auch einen für sich und Lucia.
    Lucia trank durstig. Dann holte sie tief Luft.
    »Ich würde gern mit der Herzogin Elisabeth sprechen«, brachte sie ihr Anliegen schließlich hervor. »Es wäre sehr freundlich von Euch, mich anzumelden. Falls Ihr Zugang zu ihr habt ...«
    Anna lachte. »Natürlich hab ich Zugang zu den Kemenaten. Ich bin die erste Kammerfrau der Herzoginmutter Margarethe. Die ist zwar nicht die beste Freundin der Herrin Elisabeth, aber eine Nachricht bringen kann ich ihr schon. Also, wie war noch gleich Euer Name? Und kennt Euch die Herzogin? So spät störe ich sie ungern.«
    Lucia schluckte. »Sie kennt mich, aber unter einem anderen Namen. Bitte, gebt ihr das hier. Sie wird wissen, von wem Ihr redet.«
    Widerstrebend reichte sie der Kammerfrau den Haarreif.
    Anna runzelte die Stirn, als sie das Stück in Empfang nahm.
    »Aber der gehört ihr«, sagte sie. »Elisabeth. Sie trug diesen Reif, als sie aus Sizilien an den Hof des Herzogs kam. Sie war ein reizendes Mädchen. Aber meine Herrin mochte sie nie, und der Herzog ... Nun, ich will nicht tratschen. Obwohl das nach einer interessanten Geschichte aussieht. Kommt mit mir, Ihr könnt vor den Kemenaten warten.«
    Anna schritt selbstbewusst voraus. Lucia, ein bisschen wackelig auf den Beinen vom rasch genossenen Wein, folgte ihr.
    »Ich muss noch mein Kind aus der Küche holen«, bemerkte sie, beiläufig, wie sie hoffte. Wenn sie wirklich eine Stellung bei der Herzogin bekam, würde Anna zu ihren Vorgesetzten gehören. Die Frau schien freundlich, aber was würde sie zu Leona sagen?
    »Ein Kind habt Ihr auch schon? Na, dann holt es rasch ab, es wird sonst ja immer später ...« Anna wirkte ein wenig unwillig, aber nicht missbilligend. Lucia schöpfte Hoffnung.
    Leona schlief bereits tief, als sie in die Küche kam. Die resolute Küchenfrau hatte sie in ihr Tuch gewickelt und sich auf den Rücken gebunden. Das müde und gesättigte Kind war daraufhin sofort eingenickt.
    »Nehmt sie, und weckt sie nicht auf!«, meinte sie lächelnd. »So ein süßes Mädchen. Sie wird einmal so schön wie ihre Mutter. Und Ihr ... irgendwie erinnert Ihr mich an jemanden. Aber ich will Euch nicht aufhalten, die Anna wartet nicht gern.«
    Anna hatte sich inzwischen wieder auf ihre Pflichten besonnen und war noch einmal in den Keller hinuntergewatschelt, um eine Karaffe süßen Weines zu holen. Wahrscheinlich hatte sie auch versucht, den Kellermeister zum Stillschweigen zu verpflichten, und es schien ihr halbwegs geglückt zu sein. Jedenfalls wirkte sie ziemlich entspannt, als sie Lucia nun über den Küchenhof und verschlungene Korridore zu den Frauengemächern führte. Lucia wartete in einem zugigen

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