Die Pestärztin
Kämpfe weiter. Tatsächlich focht Dietmar von Thüringen wie ein Löwe. Gisela musste mehrmals von der Herzoginmutter gerügt werden, da sie dazu neigte, ihn anzufeuern wie eine Gassengöre. Am Ende blieb er Sieger des heutigen Tages, gefolgt von den Herren Jerome de la Bourgogne und Bernhard von Paring.
»Gibt's keinen Kuss für den Sieger des Tages?«, fragte Herzog Albrecht. Er war der jüngste der Brüder und hätte zweifellos lieber mitgekämpft, als dem Turnier vorzustehen. Aber die letzten Kämpfe hatten ihm Spaß gemacht, und er hatte wohl auch dem Wein schon gut zugesprochen.
Seine Mutter wollte etwas erwidern, doch Elisabeth schob sich rasch vor.
»Wenn das Fräulein Lucia den Sieger ehren möchte?«, fragte sie, und Lucia erkannte das mutwillige Aufblitzen in ihren Augen, das sie auch gestern gezeigt hatte, als Bernhard von Paring ihr vom Erfolg ihrer Intervention in Sizilien berichtet hatte. Der Minnehof war unzweifelhaft ihr Ein und Alles gewesen. Sie liebte es, die Geschicke von Rittern und Damen auf sanfte Weise zu lenken, und sie dachte dabei nicht an passende Verbindungen, sondern allein an die Macht der Hohen Minne.
Lucia wurde rot und trat vor. Wollte sie? Sie konnte sich kaum drücken. Aber dann verspürte sie wirklich Lust darauf, diesem tollkühnen jungen Ritter nahe zu sein, das Aufleuchten seiner Augen zu sehen und seine Lippen mit den ihren zu erforschen.
Dietmar konnte sein Glück offensichtlich kaum glauben. Er hatte den Helm abgenommen, und sein Haar wallte unter der Kettenhaube hervor. Es wirkte nicht sehr verschwitzt; die Kämpfe waren ihm leichtgefallen. Auf die schwersten Gegner, Jerome und Bernhard, war er allerdings noch nicht gestoßen. Die standen lachend und ein bisschen feixend daneben und sahen, wie der Tagessieger sich vor Verlegenheit wand.
»Nun kommt, Herr von Thüringen, oder soll ich ewig warten?«, fragte Lucia lächelnd und hielt ihm die Hände entgegen. Schließlich raffte Dietmar sich auf und trat zu ihr. Sie beugte sich von der Tribüne hinunter und streifte seine Lippen sanft mit den ihren. Weiche, freundliche Lippen - und ein Gesicht voller Bewunderung und Sehnsucht.
Lucia sah zum ersten Mal seit Clemens' Tod einen Mann an und verglich ihn nicht mit ihrem Liebsten.
Ihr Glück sollte jedoch nicht lange währen. Auf dem Rückweg zu den Kemenaten traf sie auf ihren Onkel. Lucia schenkte dem Oettinger ein beiläufiges Lächeln, aber der wandte ihr ein von Zorn verzerrtes Gesicht zu.
»Ich hab's gesehen, du liederliches Ding! Aber gut, der Herzog sagte mir, seine Kebse von Ehefrau habe dich angestachelt. Du hättest diesen Habenichts küssen müssen. Also lassen wir es ungestraft. Aber versuch das nicht noch mal, Mädchen! Du ruinierst sonst die Ehre deiner Familie. Was soll dein versprochener Gatte dazu sagen?«
Lucia war überrascht und verwirrt. »Mein ... mein versprochener Gatte?«
»Ja, es wird Zeit, dass du es erfährst. Ich habe dich Wolfram von Fraunberg zu Prunn anverlobt. Er ist reich, ein wichtiger Verbündeter und ein starker Ritter. Vielleicht wird er das Treffen morgen für sich entscheiden, aber dazu muss er natürlich noch an mir vorbei. Sollte es ihm allerdings gelingen - ihn darfst du küssen!«
5
D er Oettinger wartete ihre Antwort nicht ab, sondern entfernte sich zu den Zelten. Lucia blieb starr vor Entsetzen zurück.
Lucia war zu erschrocken, um auch nur weinen zu können. Doch als die erste Starre sich löste, empfand sie glühende Wut.
Was bildete dieser Kerl sich ein, über sie zu bestimmen? Sie würde ihr Kind nehmen und gehen, und ... und dann? Lucia dachte mit Schrecken an den Tag, nachdem sie die Levins verlassen hatte. Leona war glücklich auf der Burg. Sollte sie das Kind jetzt ins Elend stoßen? Zudem konnte eine Magd Lucia von Mainz überall verschwinden; eine edle Frau von Bruckberg aus dem Hause Oettingen dagegen war wertvoll. Ihr Onkel würde sie suchen lassen - und die Herzoginmutter erst recht. Margarethe würde nicht zulassen, dass ihr die zweite Oettingen weglief.
Zwingen aber konnte sie niemand. Sie würde sich einfach weigern, dem Fraunberger Eide zu schwören. Und wie ihr Onkel schon sagte: An den Haaren würde man sie nicht in den Kreis der Ritter zerren.
Lucia war wieder einmal allein in ihrer Stube. Gunhild hatte sich auch in dieser Nacht hinausgeschlichen, um Bernhard zu treffen. Ob der ihr Mut machte? Doch Gunhild hatte der Verlobung mit Birger bereits zugestimmt, obgleich sie damals nicht älter als
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