Die Pestärztin
Lucia und hustete. Sehr lange würde sie weder die stickige Hitze unter dem Schleier noch die heisere Stimme beibehalten können. »Nur, dass ich Euch für Eure Hilfe sehr verbunden bin.«
Zacharias schloss die Tür hinter Lucia. Sie konnte sich denken, dass er jetzt hinter ihr ausspuckte. Danach aber würde sich Zufriedenheit auf seinem Gesicht ausbreiten. Die Beförderung des Briefes war schließlich kein Problem und würde ihn höchstens einen Pfennig kosten. Jüdische Händler pendelten fast täglich zwischen Regensburg, Landshut und allen anderen Orten des Herzogtums. Sie alle beförderten Briefe ihrer Glaubensbrüder - entweder kostenlos oder gegen ein kleines Entgelt. Der Adressat dieses Briefes jedoch war ungewöhnlich; der Bote mochte sich den Abstecher ins Kloster bezahlen lassen. Aber gerade mit St. Emmeram machten die Juden so häufig Geschäfte, dass die Beförderung vielleicht nebenbei erledigt wurde. Das Skriptorium der Abtei war berühmt, und Abt Adalbert sammelte antike Schriftrollen und Kodizes. Von wo sonst sollte er sie beziehen, wenn nicht von jüdischen Fernhändlern?
Lucia erreichte die Burg früh genug, um sich umzukleiden und zu frühstücken, bevor Frau Margarethe sie zu einer weiteren Messe in die Kapelle beorderte. Elisabeth kniete dort seit Stunden, in ein verzweifeltes Gebet vertieft.
Lucia setzte sich neben sie.
»Du kannst mit dem Beten aufhören«, wisperte sie. »Die Kinder Israels werden sich der Sache annehmen ...«
8
L ucia bestand darauf, selbst in die Pfandleihe zurückzukehren und nach einer Antwort des Arztes zu fragen. Dabei wäre es natürlich weniger gefährlich gewesen, Elisabeth zu schicken. Doch Lucia traute ihr nicht. Womöglich gab sie den zweiten Ohrring vorschnell heraus, noch ehe sie einen Brief erhalten hatte. Dann würde Levin das Interesse verlieren und die Nachricht in der nächsten Woche zurückhalten, um Elisabeth eins auszuwischen. Oder er würde weitere Bezahlung fordern - was die verschleierte Fremde anging, traute sie Leas Onkel so ziemlich alles zu.
Also wiederholte Lucia das Manöver von der letzten Woche, wobei Elisabeth ihr diesmal das Geleit bis zum Burggraben gab. Die Herzogin sollte auch für eine Ausrede gegenüber Frau Margarethe sorgen, deren Wachsamkeit wieder gewachsen war. Zwar las man immer noch Totenmessen für Birger von Skaane, doch die Angehörigen der herzoglichen Familie überließen das Trauern jetzt meist den Mönchen und Nonnen, deren Klöster sie dafür bezahlte. An Gunhild von Hälsingborgs Familie war Nachricht von den Vorfällen ergangen. Man wartete nun auf eine Antwort, aber wahrscheinlich würde man das Mädchen bald für tot erklären.
Lucia betrat die Pfandleihe diesmal mit nicht ganz so heftig pochendem Herzen. Wenn Zacharias sie beim ersten Mal nicht erkannt hatte, bestand beim zweiten Mal schließlich kaum Gefahr. Umso überraschter war sie, als der korpulente Mann sich erstaunlich behände vor ihr aufbaute und sofort auf sie losging.
»Man kann dir vieles vorwerfen, Mädchen, aber Mut hast du!«, fuhr er sie an. »Ja, nimm den Schleier nur ab, >Lucia von Bruckbergs Ich weiß Bescheid! Eigentlich hätte es mir beim letzten Mal schon auffallen müssen, denn deine Stimme kam mir bekannt vor. Aber wer rechnet mit einer solchen Dreistigkeit? Die Maske der geheimnisvollen Kundin anzulegen, um einen Brief befördern zu lassen!«
Lucia ließ den Schleier tatsächlich sinken, während sie fieberhaft überlegte. Woher stammte Zacharias' Wissen? Sie war sicher, dass sie keinen Absender auf den Brief geschrieben hatte. Natürlich hatte sie unterschrieben, doch um ihren Namen zu finden, musste man das Siegel brechen ...
»Öffnet Ihr neuerdings anderer Leute Briefe, Reb Levin?«, fragte sie vorwurfsvoll.
Der Pfandleiher runzelte die Stirn. »Jetzt wird die Dame auch noch frech!«, schimpfte er. »Nein, Edle von Bruckberg, oder wie Ihr Euch zurzeit nennt ...«
»Ich nenne mich beim Namen meines Vaters!« Lucia war entschlossen, sich nicht einschüchtern zu lassen. Wenn es eine Antwort des Arztes aus Regensburg gab, würde sie den Laden nicht ohne das Schreiben verlassen.
»Dann habt Ihr den wohl in Mainz noch nicht gekannt!«, höhnte Levin.
Woher wusste er das schon wieder?
Lucia seufzte. »Ihr werdet es mir nicht glauben, aber genau so war es. Erinnert Ihr Euch nicht? Ich war ein Findelkind. David von Speyer hat es Euch doch erzählt.«
»Erwähne den Namen von Speyer nicht!«, herrschte Levin sie an. »Damit
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