Die Pestärztin
klopfen sollte. Elisabeth hatte das immer getan. Aber dann trat sie einfach ein.
»Gott zum Gruße, Meister Levin«, erklärte sie mit heiserer, leiser Stimme. Sie musste versuchen, tiefer zu klingen. Vielleicht hätte sie Kreide essen sollen.
»Auch Euch einen Gruß«, erwiderte Levins mürrische Stimme. »Braucht Ihr schon wieder Geld? Ich hätte Euch so bald nicht wieder erwartet.«
Elisabeth musste vor kurzem hier gewesen sein. Vielleicht erst gestern. Das erschwerte das Unternehmen; Levin mochte misstrauisch sein. Aber jetzt war sie hier, jetzt gab es kein Zurück mehr.
»In der Tat, Meister Levin ...« Lucia musste sich auf die Anrede konzentrieren. Beinahe wäre ihr ein »Reb Levin« herausgerutscht. »Aber ich brauche kein Geld. Diesmal wollte ich Euch um einen anderen Dienst bitten.«
»Für andere Dienste bin ich nicht zu haben. Dies ist eine Pfandleihe. Was immer Ihr sonst sucht, müsst Ihr woanders finden.«
Levins Tonfall gegenüber der vermeintlichen Kundin Elisabeth war noch deutlich rauer geworden. Der Pfandleiher war erkennbar schlechter Laune, und an der eingeschüchterten Frau konnte er es auslassen, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen. Jedenfalls hatte er das bis heute gekonnt.
»Meister Levin«, meinte Lucia ruhig und versuchte, ihre Stimme unter Kontrolle zu halten. Doch unter dem dicken Schleier klang sie ohnehin gedämpft. »Ich weiß, was Ihr von mir haltet, und es interessiert mich nicht. Aber ich bitte Euch um ein wenig Höflichkeit. Niemand hat Euch zweideutige Anträge gemacht, und ich versichere Euch, dass Ihr mich da auch in keiner Weise reizt. Also wollt Ihr Euch nun mein Anliegen anhören, oder gefällt Euch das hier nicht?«
Sie zog den ersten Ohrring aus der Tasche und hielt ihn dem Pfandleiher hin. Zacharias suchte seine Lupe heraus und betrachtete das Stück. Lucia, die ihn gut kannte, sah das Funkeln in seinen Augen.
»Dafür kann ich Euch höchstens hundertzwanzig Silberpfennig anbieten«, brummte der Händler. »Es ist eine schlampige Arbeit, wenngleich die Steine schön sind und ...«
»Auch hier habe ich Euch nicht um eine Stellungnahme gebeten«, fiel Lucia ihm ins Wort. »Ich weiß sehr wohl, was die Stücke wert sind. Und ich gebe sie Euch ganz ohne Bezahlung, wenn Ihr dafür diesen Brief für mich befördert.«
Lucia zog ein Schreiben aus der Tasche, das sie gestern Abend verfasst hatte.
»Ich weiß, dass Ihr Juden Eure Verbindungswege habt und dass Ihr Nachrichten schneller befördert als jeder Bote, den ich sonst beauftragen könnte. Außerdem seid Ihr als diskret bekannt. Eure Briefe gelangen ungeöffnet an ihren Bestimmungsort.«
Levin nahm das Schreiben widerwillig entgegen.
»An den Wundarzt im Benediktinerkloster Sankt Emmeram zu Regensburg«, las Zacharias mit Hilfe seines Vergrößerungsglases. »Den Brief könnt Ihr gleich wieder mitnehmen, wir haben keine Verbindungen zu Klöstern ...«
Lucia lachte. »Ihr verkauft den Abteien kein Tuch und kein Silber? Ihr würdet einem Abt, der nicht genug Gold auf seine Altäre packen kann, niemals Geld leihen?«
Levin sah sie aus seinen kurzsichtigen Augen forschend an.
»Ihr erscheint mir heute anders als sonst«, murmelte er.
Lucia holte tief Luft. Sie durfte sich jetzt nicht verraten. »Ich bin verzweifelt, Meister Levin«, sagte sie schließlich. »Ich muss Verbindung mit diesem Arzt aufnehmen, und das schnell. Also, können wir ins Geschäft kommen?« Sie nahm den Ohrring wieder an sich, den sie Levin vorhin zur Prüfung überlassen hatte. »Oder soll ich das hier wieder mitnehmen? Ich könnte mir dafür auch einen Burschen im Mietstall verdingen ...«
»Nein, nein. Gebt mir den Schmuck, und lasst den Brief hier. Ich werde ihn weiterleiten«, lenkte Levin ein.
Lucia schüttelte den Kopf. »Nein, Meister Levin, das ist mir nicht sicher genug. Ich gebe Euch einen Ohrring. Und in einer Woche werde ich zurückkommen, und Ihr übergebt mir die Antwort.«
»Eine Woche könnte zu knapp sein«, meinte der Händler.
»Dann komme ich eine Woche später. Aber Ihr werdet den zweiten Ohrring erst erhalten, wenn ich sicher sein kann, dass mein Schreiben den Empfänger erreicht hat.«
»Und wenn dieser Arzt dort gar nicht mehr ist?«
»Dann lasst Ihr Euch den Erhalt vom Abt quittieren. Da wird es doch Möglichkeiten geben, Meister Levin!« Lucia schob den Ohrring über den Tresen.
»Ich werde sehen, was ich tun kann«, sagte der Pfandleiher unfreundlich. »Sonst noch etwas?«
»Sonst nichts«, meinte
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