Die Pestärztin
hast du genug Ärger über mein Haus gebracht.«
»Ihr habt mich so genannt. Es war nicht meine Idee«, versuchte Lucia sich zu verteidigen, doch das Argument stand natürlich auf tönernen Füßen. »Aber gut, Ihr wisst jetzt, wer ich bin. Habt Ihr meinen Brief geöffnet, ehe Ihr ihn versandt habt, oder hat erst die Antwort Eure Neugier erregt?«
Levin richtete sich hoheitsvoll auf. »Beleidige mich nicht, Mädchen. Niemand aus unserer Gemeinde würde jemals einen Brief öffnen, der nicht für ihn bestimmt ist. Aber Moses von Kahlbach, der den Brief für mich beförderte, war vorhin hier und erklärte, er habe den Arzt, an den er gerichtet war, gleich mitgebracht. Der Mann hätte ihn in Regensburg aufgesucht und nach dir ausgefragt. Natürlich hat er ihm nicht viel erzählt. Aber die Juden von Landshut sind nicht taub. Natürlich haben sie gehört, wer sich da als Lucia von Bruckberg auf der Burg eingeschmeichelt hat.«
»Ich habe nicht ...« Lucia wollte sich verteidigen, gab es dann aber auf. Levin wollte doch nichts davon hören, und es gab wichtigere Dinge zu bereden. »Ihr sagt, dieser Arzt sei hier?«
Levin nickte. »Er hat sich Reb Kahlbachs Reisegruppe angeschlossen. Ziemlich ungewöhnlich, aber er scheint nichts gegen die Juden zu haben. Er sagte, er hätte gemeinsam mit Juden und Muselmanen studiert, was immer das heißen mag. Wo er jetzt ist, weiß ich nicht.«
»Aber er wird mich suchen!«, rief Lucia. »Was habt Ihr ihm gesagt?«
Levin verzog das Gesicht. »Ich habe ihm gar nichts gesagt. Aber Reb Kahlbach hat ihn zur Burg verwiesen. Da wollte er heute hinreiten.«
Lucia erblasste. »Er will zur Burg reiten und sein Anliegen vortragen? Er wird dort nach dem kranken Ritter suchen? Um Himmels willen, ich muss sofort zurück!«
Sie wollte sich auf dem Absatz umdrehen und aus dem Laden stürmen, erinnerte sich dann aber an Zacharias' Lohn.
»Hier«, sagte sie und warf den zweiten Ohrring auf den Ladentisch. »Ich danke Euch für Eure Bemühungen. Und ich entschuldige mich für den Ärger, den ich verursacht habe. Aber ich habe Lea von Speyer geliebt wie eine Schwester. Sie hätte mir nichts nachgetragen. Und vielleicht bedenkt ja auch Ihr eines Tages, dass Menschen sehr viel seltener aus Dreistigkeit handeln denn aus Verzweiflung!«
Lucia wollte gehen, doch Levin kam ihr nach.
»Ich habe inzwischen einiges über Euch gehört, Lucia«, sagte er. Sie spürte, wie viel Überwindung ihn diese Worte kosteten. »Und wenn ich Euch auch nicht verzeihen kann, so will ich Euch doch nicht übervorteilen. Behaltet Euren Schmuck. Die Beförderung des Briefes hat mich keinen Pfennig gekostet.«
Er drückte Lucia die Ohrgehänge in die Hand und schob sie zur Tür hinaus, noch ehe sie sich bedanken konnte.
Lucia wusste nicht, worüber sie sich zunächst Gedanken machen und sorgen sollte, als sie zum Mietstall eilte. Zacharias Levins plötzliche Milde war eigenartig. Und wie kam er an neue Erkenntnisse über sie? Waren Überlebende aus Mainz eingetroffen, die von der Pestärztin erzählt hatten? Andererseits hatten damals kaum Juden zu ihren Patienten gehört.
Das Wichtigste war jedoch die Ankunft des Arztes aus Regensburg. Es war gütig von ihm, sich sofort auf den Weg zu machen, aber vielleicht hatte er auch nur nach einem guten Grund gesucht, das Kloster St. Emmeram zu verlassen. Freunde hatte er sich in Regensburg schließlich nicht gemacht, und für den Abt barg es auf Dauer bestimmt Gefahren, den Arzt zu schützen. Außerdem stammte die Anfrage aus Landshut immerhin von einem Burgfräulein. Der Mann mochte sich stärkere Verbündete erhoffen als ein paar Mönche. Wenn er einem Herzog oder seinem verdienten Ritter das Leben rettete, würde niemand mehr wagen, gegen ihn zu intrigieren.
Lucia zermarterte sich den Kopf darüber, was genau sie über den Aufenthalt des Kranken, seinen Namen und seine Beziehung zur Absenderin geschrieben hatte. Ganz sicher hatte sie die Herzogin nicht erwähnt. Aber würden Frau Margarethe und Herr Stephan nicht eins und eins zusammenzählen, wenn sie seine Geschichte hörten?
Lucia übernahm ihre Stute und ließ sie ohne Rücksicht auf Fußgänger durch die Straßen der Stadt traben und den Berg zur Burg hinaufgaloppieren. Vielleicht konnte sie den Medikus ja noch abfangen.
»Habt Ihr einen Mann eingelassen, der nach mir gefragt hat?«, wandte sie sich im Vorbeireiten an die Wächter der Burg.
Karl, der junge Mann, der sie am ersten Abend in die Küche geleitet hatte,
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