Die Pestärztin
Kreise der Ritterschaft?«, fragte die Herzogin scharf. »Ihr gehört doch dem Adel an, Herr von Treist, oder irre ich mich? Ihr solltet die Bräuche kennen.«
Bevor Clemens etwas erwidern konnte, wurde die Tür erneut geöffnet, und Elisabeth stürzte ins Gemach. Sie wirkte ebenso alarmiert wie Lucia zuvor; anscheinend hatte sie eben von der Ankunft des Medikus erfahren. Lucia fragte sich vage, wie sie diesen Auftritt erklären wollte, doch Frau Margarethe warf ihrer Stief-Schwiegertochter nur einen unwilligen Blick zu.
»Was immer Ihr auf dem Herzen habt, Elisabeth - es kann warten!«, beschied sie die junge Frau. Elisabeth hätte daraufhin den Raum verlassen müssen, blieb jedoch, ohne dass Margarethe sie dafür rügte. Stattdessen wandte sie sich wieder Clemens und Lucia zu.
»Ich warte, Herr von Treist.«
»Lucia und ich haben einander in Mainz kennen gelernt, während der Pestepidemie«, sagte Clemens ruhig. »Da gab es keine Ritterschaft. Die verschanzte sich auf den Burgen und ließ keinen Fremden ein. Es war schwer genug, einen Priester zu finden, der unsere Verbindung segnete.«
»Eine Verbindung, die in meinen Augen nicht existiert!«, trumpfte die Herzoginmutter auf. »Ihr seid zweifellos von Adel, Herr Clemens, aber dieses Mädchen ist eine Oettingen zu Harburg. Sie kann sich nicht mit einem kleinen Krauter aus dem Westfälischen vermählen, dessen Familie einen winzigen Wehrhof ihr Eigen nennt.«
»Frau Margarethe, auch Bürger schließen gültige Ehen«, bemerkte Elisabeth. Lucia hatte ihr natürlich von ihrem Gatten und seinem Verlust erzählt, und nun begriff sie die Zusammenhänge schnell. Die Tatsache, dass Clemens am Leben war, schien ihr Mut zu machen. Zudem fühlte sie sich in Fragen der Eheschließung deutlich auf sicherem Terrain. An Minnehöfen musste dies ein Thema sein. Schließlich wurde dort ständig über Entführungen und heimliche Heiraten getuschelt.
»Wir können unsere Schwüre jederzeit vor der Ritterschaft wiederholen!«, erklärte Clemens von Treist, wobei er Lucia allerdings einen unsicheren Blick zuwarf. Lucia, nach wie vor benommen, nickte irritiert.
»Das Mädchen steht unter der Munt ihres Onkels. Wir werden Erkundigungen darüber einziehen, wie er dazu steht.« Frau Margarethe schien Clemens mit diesen Worten entlassen zu wollen. »Bis dahin gehst du auf deine Kemenate, Lucia, und ...«
»Zur Erneuerung des Versprechens einer Ehe, die längst vollzogen, vor einem Priester geschlossen und sogar mit einem Kind gesegnet ist?«, fiel Elisabeth ihr ins Wort. »Das ist absurd! Conrad von Oettingen mag nicht erfreut über diese Entwicklung sein, aber ändern kann er daran nichts mehr.«
Clemens schaute Lucia an. Sie las tausend Fragen in seinem Blick.
»Ein ... Kind?«
»Eine Tochter«, flüsterte Lucia.
»Ich bin überzeugt, der Oettinger und der Fraunberger werden die Sache vor das Gericht der Herzöge bringen!«, erklärte Margarethe hoheitsvoll. Ihr war anzusehen, dass sie ihre Söhne vorher ausgiebig instruieren würde.
Elisabeth lächelte sardonisch. »Das könnt Ihr gleich haben«, bemerkte sie. »Mein Gatte spricht soeben Recht im großen Saal. Die Ritter der Burg sind versammelt. Es kommen ein paar Streitpunkte zwischen den Herren zur Sprache. Außerdem sind etliche Bürger zugegen, die bestimmt gern Auskunft über ihre Art der Eheschließung geben, und auch die unvermeidliche Abordnung der jüdischen Gemeinde ist zugegen. Ausreichend Zeugen also für Schwüre jeder Art.«
Lucia hatte gehört, dass Margarethes Söhne sich der lästigen Pflicht, Gericht zu halten, heute entzogen hatten und schon früh am Morgen zur Jagd aufgebrochen waren.
»So lasst uns gehen«, sagte sie und tastete nach Clemens' Hand. Er umfasste die ihre mit seinen warmen, langen Fingern. Es war wie ein Nachhausekommen. Lucia hatte keine Angst vor dem Richterspruch des Herzogs. Sie wusste, wohin sie gehörte.
»Der Oettinger sollte dabei sein!« Frau Margarethe machte einen letzten Vorstoß.
Elisabeth lächelte ihr zu und öffnete die Tür für Lucia und Clemens. »Ich denke, der Oettinger braucht sich keine Sorgen zu machen«, meinte sie honigsüß. »Ihr werdet seine Sache würdig vertreten.«
Herzog Stephan war erkennbar schlechter Laune. Statt sich hier kleinliche Ehrenhändel der Ritter schildern zu lassen und sich mit den Vermögensangelegenheiten der Bürger herumzuärgern, von denen er doch nichts verstand, hätte er seine Brüder lieber auf die Jagd begleitet. Aber
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