Die Pestärztin
hinter der maurischen Seite der Grenze Handel trieb. So kam ich in eine Schule, an der Haremssklavinnen ausgebildet wurden. Die Herrin Farah, die diese Schule leitete, war selbst Sklavin gewesen, hatte sich aber freikaufen können, nachdem ihr Herr gestorben war. Nun bestritt sie ihren Lebensunterhalt, indem sie schöne kleine Mädchen billig kaufte und ihnen eine Erziehung angedeihen ließ, wie sie sonst nur Prinzessinnen erhalten. Wir lernten musizieren, singen und tanzen; wir lasen die Schriften der Römer und Griechen, und natürlich auch die großen Dichtungen und philosophischen Abhandlungen der arabischen Weisen. Das Ziel dieser Ausbildung war, eine Frau hervorzubringen, die nicht nur sehr schön ist, sondern ihren Herrn auch in jeder anderen Hinsicht aufs Trefflichste zu unterhalten versteht ...«
»Und die Liebe?«, fragte Lea vorwitzig. »Ist es wahr, dass man arabische Mädchen auch in den Künsten der Liebe unterrichtet?«
Lucia wurde rot. Al Shifa jedoch antwortete unbeeindruckt: »Der geschlechtlichen Liebe. Ja, auch hier lernten wir, unsere späteren Herren zu überraschen und zu entzücken. Vor der wahren, wirklichen Liebe aber pflegte Farah uns zu warnen! Diese Liebe ist ein romantischer Traum, und wenn man ihm blindlings folgt, birgt er unendliche Gefahren. Natürlich glaubten wir das nicht. Schließlich lasen wir ein Liebesgedicht nach dem anderen, berührten gegenseitig unsere Körper ...«
»Aber das ist Gott nicht wohlgefällig!«, rügte Lea.
Al Shifa nickte. »Wir haben es nicht um der Lust willen getan, sondern um uns auf jenen Tag vorzubereiten, an dem wir unserem Herrn zu Willen sein sollten. Wir dürften dann nicht ängstlich und unerfahren scheinen - eine scheue Jungfrau erfreut ihren Herrn nur wenige Stunden, dann beginnt sie ihn zu langweilen. Jedenfalls, wir lernten die Lust kennen! Wir begannen über die Männer nachzudenken, die wir verstohlen von unseren vergitterten Fenstern aus über die Straßen vor dem Haus flanieren sahen. Wir sehnten uns nach einem Prinzen und malten uns in glühenden Farben aus, wie der Mann sein sollte, dem wir einmal gehören würden ...«
»Und war es dann auch so?«, fragte Lucia mit leuchtenden Augen, denn die Maurin fasste ihre eigenen Phantasien und Träume in Worte.
Al Shifa lachte. »Natürlich nicht, Kleines! Was denkst du, was ein Mädchen aus der Schule der Herrin Farah kostete! Wir waren ein Vermögen wert, und es kam selten vor, dass ein Herr eine solche Kostbarkeit für den eigenen Harem erwarb - erst recht kein junger Herr, der gerade die Wege der Liebe mit seiner ersten Gemahlin beschreitet, zugleich aber rasch in Leidenschaft für jedes beliebige Mädchen entbrennt. Nein, wir wurden meist als Geschenke für Geschäftsfreunde oder Gönner erworben, die sonst bereits alles hatten - einschließlich Ehefrauen und einer Anzahl weiterer Konkubinen. Oft waren es alte Männer, die all unserer Kunstfertigkeit bedurften, um die Liebe noch genießen zu können ... und die uns deshalb umso mehr schätzten! Uns Mädchen wie auch die Männer, die ihnen dieses großzügige Geschenk gemacht hatten. So gelangte ich an den Hof des Emirs.«
»Mochte er dich nicht?«, fragte Lucia ungläubig. »Wollte er dich nicht zur Frau?«
»Zur Frau nehmen solche Männer ihre Sklavinnen nur selten«, erwiderte Al Shifa. »Aber der Sultan wollte mich nicht einmal anrühren. Ihm gefielen blonde, blauäugige Frauen, die obendrein sehr üppig sein mussten. Auf Bildung gab er nichts. Wenn er sich über Philosophie unterhalten wollte, rief er seinen Wesir. Die Mädchen in seinem Harem waren größtenteils Christinnen, die man außerhalb von Al Andalus geraubt hatte. Viele von ihnen sprachen nicht einmal unsere Sprache. Dem Herrn war das egal, aber für uns wurde das Leben in seinem Harem dadurch langweilig und traurig. Die Frauen mochten sich mit ihrem Los nicht abfinden. Sie betrachteten den Harem als Gefängnis, und man hörte mehr Weinen und Jammern in den verschiedensten Sprachen als Musik und Gesang.«
»Und wie bist du dort herausgekommen?«, wollte Lea wissen. Ihr wurde die Geschichte schon wieder zu langatmig, zumal die Stunde längst um war. Sie wollte jetzt keine Haremsgeschichten mehr hören, sondern ihre Mutter zu den Lagerhäusern des Vaters begleiten. Es waren Seidenstoffe aus den Manufakturen in Al Mariya eingetroffen, und von Speyer hatte »seine Damen« eingeladen, sich im Vorfeld die schönsten Tücher auszuwählen. Außerdem schien draußen die Sonne.
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