Die Pestärztin
tue ja nichts Verbotenes. Ich wollt nur ein bisschen mit meiner Freundin allein sein und plaudern. Aber Mädchengekicher ist unserem Hans ein Gräuel, da hat er sich auf ein Bier verzogen. Bitte, verratet uns nicht, Meister Schrader! Der Hans kriegt sonst Ärger.«
Der Meister verzog den Mund. »Schicklich ist das nicht. Aber was kümmert's mich, was ihr Judendinger treibt ...«
Lea nahm keine weitere Notiz von ihm und seiner Frau.
»Also komm, Lucia!«, rief sie vergnügt. »Du hast doch jetzt frei, nicht wahr? Lass uns zum Rhein hinunterreiten, das Wetter ist so schön!«
Lea schwang sich gekonnt in den Sattel und reichte Lucia die Hand, um sie hinter sich aufsteigen zu lassen. Lucia sorgte sich ein wenig um ihr gutes Kleid. Doch ein Ausritt mit Lea war auf jeden Fall verlockender als ein weiterer freudloser Sonntag mit der Meisterin. Zwar gab es am Feiertag besseres Essen als sonst, aber es wurde auch noch mehr gebetet, und in den wenigen freien Stunden, die Lucia dabei blieben, erwartete man, dass sie ihre Kammer reinigte und ihre Kleider ausbesserte - alles Dinge, die den langen Nachmittag bis zur Abendmesse niemals ausfüllten.
Entschlossen griff Lucia nach Leas Hand und setzte einen Fuß in den Steigbügel.
Die Meisterin zeigte ihr missbilligendstes Gesicht, als sie breitbeinig auf der Kruppe des Maultiers landete, wobei zwangsläufig ihre Röcke hochrutschten und ein paar Zoll von ihrem Unterschenkel sehen ließen.
»Kein Schamgefühl ...«, hörte Lucia ihre Lehrherrin noch murmeln, aber dann trieb Lea die Stute an, und die beiden waren auf und davon.
Lea lachte vergnügt über die gelungene Entführung.
»Ich hab's David gleich gesagt: Nicht groß fragen, nicht demütig an die Tür klopfen! Am besten stellt man die Leute vor vollendete Tatsachen. Hätte Al Shifa auch machen sollen ...«
Lucia verkniff sich die Bemerkung, dass zwischen Lea, der vielleicht nicht geliebten, aber doch geachteten Kundin der Schneiderei, und Al Shifa, der Sklavin, beträchtliche Unterschiede bestanden. Die Meisterin hätte kaum gewagt, Lea von ihrer Schwelle zu vertreiben, auch wenn sie ganz manierlich nach Lucia gefragt hätte. Aber sie wollte sich nicht streiten. Die Sonne schien strahlend, der Frühling war nun wirklich gekommen, und sie gelangte endlich mal an die frische Luft. Lucia atmete den Duft der Freiheit tief ein - merkte dann aber, dass Lea nicht zu den Rheinwiesen hinunterritt, sondern eher zurück in Richtung Judenviertel.
»Wo willst du denn hin?«, erkundigte sie sich. »Zu euch? Ich dachte, ich komme endlich mal ins Freie!«
Hoffentlich klang dies nicht zu vorwurfsvoll. Der Sonntag war für die Juden zwar ein normaler Arbeitstag, aber ein alltägliches Mittagsmahl bei den Speyers fiel immer noch glanzvoller aus als ein Sonntagsessen bei der Meisterin.
Lea war jedoch nicht beleidigt, sondern kicherte.
»Ach was! Nur nach Sankt Christoph. Wo das brave christliche Lehrmädchen Lucia den Tag des Herrn fastend und in tiefem Gebet verbringen wird.«
»Bist du noch voll bei Verstand?«, fragte Lucia. Die Verwunderung ließ sie zu dem vertrauten, schwesterlichen Ton zurückfinden, der durchaus auch mal rüdere Worte enthielt.
Lea lachte noch ausgelassener.
»Das Judenmädchen Lea dagegen«, führte sie aus, »wird seinen Bruder David auf einem Ritt über Land begleiten. Der muss nämlich nach Vilzbach zum Michelsberg. Er hat eine Lieferung feiner Stoffe für die Kartäusermönche. Wollen wohl neue Kutten schneidern, leichtere für den Sommer. Nun, und da Lea gern reitet und so eine wunderschöne neue Maultierstute besitzt, wird er sie mitnehmen. Mit Erlaubnis seines Vaters und seines Meisters versteht sich, alles ganz schicklich. Du traust dich doch?«
Lea wedelte mit ihrem Reitmantel, den sie sich nur locker über die Schulter gehängt hatte. »Du musst natürlich die Kapuze aufsetzen, solange wir Mainz durchqueren. Aber das ist ja auch schicklich, sein Haar zu bedecken. Was ist, Lucia? Hat's dir die Sprache verschlagen?«
Lucia spürte ein seltsames Gefühl im Magen, das sich nicht allein durch Hunger erklären ließ. Vor der Messe hatte es selbstverständlich kein Frühstück gegeben. Aber wenn sie es richtig verstanden hatte, was Lea da andeutete ... Sie würde vor Angst sterben!
»Noch mal, Lea, ganz langsam«, meinte sie stattdessen. »Du willst wieder die Kleider tauschen? Du willst in der Kirche beten, und ich soll ...«
»Genau!«, jubelte Lea. »Ich hoffe mal, dass der Ewige es mir nicht
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