Die Pestärztin
Zartes und Verletzliches gab. Sie war nie einem Mann so nahe gewesen und war beinahe verblüfft über die Wärme seines Gesichts und die etwas raue Haut. David küsste ihre Fingerspitze. Und dann fasste er Mut, nahm ihr Gesicht in seine Hände und legte seine Lippen auf die ihren. Lucia erschrak, als seine Zunge sich in ihren Mund schob, aber dann spürte sie Erregung in sich aufsteigen, genoss die Nähe und das Gefühl des Übermuts und Aufbruchs, das ihr Herz tanzen ließ. Sie wünschte sich, ihm noch näher zu kommen, und schmiegte sich an ihn. Aber dann erschrak sie, als sie ein Lachen hörte.
»Nu, nu, lasst euch nicht stören!«, bemerkte eine vergnügte Männerstimme, als die beiden entsetzt auseinanderstoben. »Geht doch nichts über junge Liebe, eh der Bauch anschwillt und das Haus voller Kinder ist ...«
Ein anderer Mann gab ebenfalls eine Art Kichern von sich, dann zogen die beiden weiter. Harmlose Passanten, Zecher aus irgendeiner Kneipe, die Verstand genug hatten, heimzugehen, bevor sie völlig betrunken waren.
Lucia atmete auf, wehrte sich aber, als David sie gleich wieder in die Arme schließen wollte.
»Ich muss reingehen, David, die Meisterin sitzt gewiss schon hinter dem Fenster und argwöhnt!«
»Ach, lass sie doch argwöhnen!«, meinte David gelassen. »Sie kann uns hier nicht sehen, und keiner, der vorübergeht, wird dich erkennen. Jetzt bist du hier, jetzt endlich sind wir uns nahe. Da kannst du nicht gleich wieder fortlaufen!«
Lucia gab nach und ließ sich erneut küssen. Aber diesmal verlor sie sich nicht mehr ganz und gar in ihren Gefühlen, sondern horchte nervös auf die Straße hinaus. Die Nacht war so hell - ein Freund oder Kunde von Meister Friedrich konnte sie durchaus erkennen. Und schlimmer noch, er konnte die Judenringe auf ihrem und Davids Mantel sehen ... Lucia freute sich durchaus an Davids Küssen und genoss auch das vorsichtige Streicheln, mit dem seine Hände jetzt ihren Körper unter dem Mantel erforschten. Aber dann war sie doch froh, als der Junge endlich von ihr abließ. An der Tür zum Schneiderhaus bewegte sich etwas, die Meisterin rief nach ihrer Katze.
Lucia nutzte die Gelegenheit, sich nun wirklich zu verabschieden.
Fast aufatmend schloss sie die Tür ihrer winzigen Kammer hinter sich, nachdem sie der Schraderin kurz Rede und Antwort gestanden hatte. Ja, die Küferin sei wohlauf, habe ein weiteres Kind erfolgreich in Stellung gegeben, die älteste Tochter sei aber schon wieder schwanger ...
»Auch von einem Seemann?«, bemerkte die Meisterin verächtlich.
Lucia zuckte die Schultern. »Einem Fernhandelskaufmann ...«, improvisierte sie.
Die Meisterin lachte dröhnend. »Na, wenn's mal wenigstens kein Jud ist!«
Dann ließ sie Lucia aber endlich gehen, und das Mädchen kam wieder zum Denken, als es sich in die groben Decken kuschelte. Das also war nun die Liebe! Ein schönes Gefühl, ein warmes, erfüllendes Gefühl. Und es sollte ja wohl noch schöner werden, wenn man dann mit dem Mann das Bett teilte. Aber das würde sie mit David niemals tun können. Bedauerte sie es? Sehnte sie sich so sehr nach ihm, wie es eigentlich sein sollte? Lucia empfand fast etwas wie Schuldgefühle. David ging so große Risiken für sie ein ... und sie schaffte es nicht einmal, ihre Ängste zu überwinden.
Trotzdem schlief sie mit dem Gedanken ein, sich an ihn zu schmiegen, seine Lippen wieder auf den ihren zu spüren und dieses neue, verwirrend schöne Gefühl der Liebe einfach und unbesorgt zu genießen.
7
A m nächsten Morgen erschienen ihr die mit David getauschten Zärtlichkeiten beinahe unwirklich. Es fiel ihr nicht allzu schwer, die Erinnerung daran wegzuschieben und sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Aber dann bahnten sich schon am Sonntag weitere Abenteuer an. Als sie nach der Morgenmesse mit ihrem Lehrherrn und seiner Frau die Wollengaden herunterkam, wartete Lea bereits vor ihrem Haus. Sie trug ein weites Reitkleid und hielt ihre neue, gescheckte Maultierstute am Zügel.
»Da, schau, Lucia! Ich hatte dir doch versprochen, sie dir zu zeigen!« Das Mädchen strahlte und zwinkerte Lucia verschwörerisch zu - beinahe so, als hielte sie noch ganz andere Überraschungen bereit.
Meister Schrader blickte Lea unwillig an.
»Sieh einer an, die junge Speyerin! Hoch zu Ross und ganz allein unterwegs! Ob das wohl dein Vater weiß, kleines Frauenzimmer?«
Lea lächelte unschuldig. »Unser Hausknecht hat mich herbegleitet. Er wartet in der Schenke um die Ecke. Und ich
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