Die Pestärztin
mich nie mehr tragen lassen oder in einer Kutsche fahren, sondern nur noch reiten!«
Lucia lächelte. Sie war eigentlich ganz froh, dass der Sabbat ihr den Ausflug in die Ställe verwehrte. Lea hatte sich immer mehr aus dem Reiten gemacht als sie, obwohl beide Mädchen es gelernt hatten. Benjamin von Speyer hielt mehrere Maultiere und auch zwei Reitpferde - wenngleich Juden zu Pferde von den Bürgern argwöhnisch beäugt wurden. In anderen Ländern war es ihnen gänzlich verboten, Pferde zu halten, weshalb sie sich meist auf edle Maultiere beschränkten. Die waren dann aber oft rassiger als die meist groben Pferde der Christen. Jüdische Händler kauften sie in den Iberischen Ländern, und gute Reittiere kosteten ein Vermögen. Auch Leas Stute war sicher ein großzügiges Geschenk, aber Lucia blieb lieber in der warmen Stube, als sich durch den Pferdemist zu tasten, um der Stute die Nase zu streicheln.
»Kann ich wohl auch zur Trauung reiten? Al Shifa sagt, maurische Bräute ritten auf weißen Maultieren in das Haus ihres Gatten ...«
Sarah schüttelte unwillig den Kopf. »Sei nicht so kindisch, Lea! Ich hoffe nur, dein Gatte findet Freude an diesem Geplapper. Wenn er ein ernster Mensch ist, sehe ich schwarz für dich.«
»Ich werd ihn schon aufheitern!«, sagte Lea lachend und wandte sich wieder der Schilderung ihrer künftigen Schwägerin Rebecca zu.
Lucia lauschte geduldig, mit ein bisschen Wehmut und einem Hauch Eifersucht. In Rebecca würde Lea eine neue Freundin finden. Eine, mit der sie die Freuden und Leiden einer jungen Ehe bereden konnte. Eine, die sie nicht in einem Hinterhof aufsuchen musste, sondern bequem zu einem Besuch empfangen konnte. Lucia würde sie dann bald vergessen ...
Lucia ließ es nicht zu spät werden. Am Freitag nach der Vesper zechten viele Männer in den verrufenen Kneipen dieses Viertels. Der Samstag war für Christen zwar ein Arbeitstag, aber das hielt die Kerle nicht ab. Insofern ging Lucia besser nicht zu spät zurück unter die Wollengaden, und sie hüllte sich auch ängstlich in ihren Mantel, als sie Gegröle aus den ersten Schenken hörte. Wenn sie die Kapuze über den Kopf zog, hielt man sie vielleicht für eine ältere Bürgersfrau. Zumindest sollten Passanten die Botschaft verstehen: Leichte Mädchen pflegten eher mit ihrem Haar zu protzen, statt es zu verhüllen.
Doch die Vorsicht erwies sich als unbegründet. Noch ehe Lucia die schlimmsten Gegenden erreichte, vernahm sie vertraute Schritte hinter sich. David! Sie hätte sich denken können, dass er über sie wachte, obwohl es am Sabbat verboten war. David ging ein großes Risiko ein: Wenn man ihn am Sabbat mit der Waffe am Gürtel und der sicher nicht von einem christlichen Knecht entzündeten Laterne in der Hand erwischte, würde er größten Ärger bekommen. Lucia empfand Dankbarkeit, wandte sich jedoch nicht um - bis der Junge sie einholte und einen weiten Mantel um ihre Schultern warf, der ihr leichtes Cape völlig bedeckte.
»Hier, der gehört Lea. Sieh die Judenringe! Unter diesem Umhang kannst du ganz offen mit mir durch die Straßen gehen. Eine Jüdin mit ihrem Bruder, niemand wird sich Böses denken. Ich sagte doch, ich finde eine Gelegenheit, mit dir allein zu sein, Lucia!«
Lucia erschrak, ließ aber zu, dass David ihr nun auch den Arm um die Schultern legte. Die Tarnung war tatsächlich gut. Zumindest für christliche Zeugen. Sollte allerdings ein Jude sie beobachten, wurde es peinlich. Ein jüdisches Paar geht nicht Arm in Arm durch die Stadt, erst recht nicht am Sabbat.
Aber so spät gingen Juden am Sabbat sowieso nicht aus dem Haus. Niemand würde sie sehen. Lucia entspannte sich.
Der Spaziergang durch die nächtlichen Straßen begann ihr dann sogar fast Spaß zu machen. Sie fühlte sich geborgen in Davids Arm, und die Schmeicheleien, die er ihr zuflüsterte, erwärmten ihr Herz. Dazu stand ein voller Mond über der Stadt. Die Nacht war klar, und die Luft schmeckte nach Frühling, obwohl es noch kühl war. Und dann zog David sie in jene Nische beim Haus des Schneiders, in der er sonst auf sie zu warten pflegte. Er zog die Kapuze von ihrem blonden Haar, sah ihr strahlend ins Gesicht und streichelte so sanft über ihre Schläfe, ihre Wange und entlang des winzigen Grübchens neben ihrem Mund, als könne er kaum glauben, sie wirklich leibhaftig vor sich zu haben. Lucia hob die Hand und tastete ihrerseits über sein Haar, spielte mit der langen Schläfenlocke, die ihn als Juden auswies und ihm etwas
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