Die Pestärztin
der Sache mit gemischten Gefühlen entgegen. Einerseits sehnte sie sich nach der Abwechslung, andererseits ...
»Du darfst mich dann nur nicht so ansehen!«, flehte sie David an. »Versteh mich richtig, ich ... es ist schön, wenn du mich so ansiehst, aber es ist doch verboten ...«
David wollte sie küssen, doch sie stieß ihn von sich.
»Es ist zu gefährlich, David, ich ...«
»Aber wenn ich eine Möglichkeit finde? Wenn wir einen Platz finden, wo wir allein sein können, wo uns niemand erkennt. Dann hättest du nichts dagegen?«
Lucia sah sich ängstlich um und drückte dann ihrerseits einen scheuen Kuss auf seine Hand. »Nein, ich hätte nichts dagegen. Aber es gibt keinen solchen Ort, David. Wir können nirgends sicher sein!«
Lucia hatte Herzklopfen, als sie sich am Freitag nach der Vesper zum Haus der Speyers begab. Ihrem Lehrherrn hatte sie erzählt, sie besuche die Küferin. Blieb zu hoffen, dass er sie am Sonntag nicht danach fragte! Das glaubte sie jedoch nicht. Die Küferin war als leichtfertiges Frauenzimmer bekannt. Niemand glaubte ihr den Ehemann, der angeblich auf einer Galeere zur See fuhr, es aber irgendwie schaffte, sie trotz jahrelanger Abwesenheit regelmäßig zu schwängern. Ehrbare Leute wie Friedrich Schrader und seine Gattin würden niemals das Wort an eine solche Person richten. Zumindest wenn Lucia keinen Verdacht erregte.
Al Shifa wartete bereits auf sie und zog sie in die Arme, als sie die Hintertür der Speyers erreichte.
»Wie sehr ich dich vermisst habe, Tochter! Und wie dünn und bleich du geworden bist! Komm, stärk dich erst mal, du bist spät, das Sabbatmahl ist bereits abgeräumt. Aber es ist reichlich übrig. Ich halte es in der Küche für dich warm. Und du musst frieren. Es ist so kalt in diesen Kirchen ...«
Argwöhnisch betrachtete die Maurin Lucias leichten Mantel.
Lucia war glücklich, in der Küche unterschlüpfen zu können. Sie berichtete Al Shifa ausführlich von ihrem neuen Leben und wie ruhig, aber auch langweilig es verlief.
»Wenn ich wenigstens ein paar Bücher hätte! Ich würde zu gern den Kanon weiterstudieren. Aber die Schraderin hält Bücher für Teufelszeug. Ich darf nicht mal sagen, dass ich lesen kann. Einmal hätte ich mich fast verraten, und sie hat mich angesehen, als wäre ich eine Hexe, die geheime Zeichen auf ihren Besen malt und eines Tages damit wegfliegt.«
»Wobei sie sich vermutlich mehr um den Besen sorgt als um dein Seelenheil!«, scherzte Al Shifa. Der Geiz der Schneiderin war in ganz Mainz bekannt. »Mir hat sie übrigens die Tür gewiesen. Ich wollte dich an einem Sonntag nach der Messe besuchen, aber sie hieß mich strikt, zu gehen. Ich könnte ihr christliches Haus beschmutzen. Und dabei habe ich mich so um dich gesorgt! Ich hätte ihr beinahe gesagt ...«
Die Maurin hielt inne.
»Was hättest du gesagt?«, fragte Lucia neugierig.
Al Shifa schüttelte den Kopf. »Nichts, Herzchen, das war nur so dahingeplappert. Bist du nun satt, Liebes? Dann geh zu den Speyers, man erwartet dich schon. Der Herr ist ganz begierig zu hören, was du tust.«
Benjamin von Speyer war wirklich sehr gütig, und auch Sarah befragte Lucia freundlich nach ihrer Arbeit und ihrer Herrschaft.
Lea plapperte so fröhlich, als wäre Lucia niemals fort gewesen - und David brachte das Kunststück fertig, sie den ganzen Abend kein einziges Mal anzuschauen. Esra schien ohnehin in anderen Sphären zu schweben. Auch er sei verlobt, hatte Lea Lucia kürzlich berichtet. Das Mädchen käme aus Landshut und sei wunderschön. Ihr Vater hatte Esra ein Porträt von ihr überbracht, und nun träumte er Tag und Nacht von Rebecca.
»Rebeccas Vater ist ein Onkel von uns, Zacharias Levin aus Landshut«, erklärte Lea aufgeregt. »Sie sind sehr reich. Als er jetzt wegen der Brautwerbung da war, hat er uns allen Geschenke gebracht! Willst du wissen, was er mir geschenkt hat? Zu schade, dass Sabbat ist, Lucia, sonst würde ich gleich in den Stall gehen und es dir zeigen. Darf ich nicht, Vater? Auch nicht, wenn Lucia mir alle Türen aufmacht?«
Benjamin von Speyer lächelte seiner wilden Tochter zu, schüttelte aber den Kopf. »Nicht am Sabbat, Lea. Allein schon, damit du nicht in Versuchung kommst, die Stute gleich noch aufzusatteln und sie ihr vorzureiten!«
»Jetzt hast du's verraten, Vater!«, quietschte Lea. »Aber es ist wirklich was zum Reiten, Lucia! Eine Maultierstute, und stell dir vor, eine gefleckte! Man sitzt darauf so weich wie in einer Sänfte. Ich werde
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