Die Pestärztin
übel nimmt. Wenn man Al Shifa hört, möchte man ja meinen, man würde vom Blitz erschlagen, wenn man fahrlässig eine Christenkirche beträte. Aber der Herr ist ein gütiger Gott, er wird seine Hand über die Liebenden halten ...«
»Lea, nun sei doch mal ernst!« Lucia wusste nicht, was sie denken sollte. »Wie soll das gut gehen? Wenn uns einer erkennt ...«
Lea schüttelte den Kopf. »Ach komm, Lucia! Da kann gar nichts schiefgehen! Du sagst doch immer, diese Kirchen seien dunkel wie die Nacht. Ich hocke mich einfach in die abgelegenste Nische ...«
»Kapelle«, verbesserte Lucia. »Man nennt es >Kapelle<. Und man hockt sich nicht hin, man kniet.«
»Meine ich ja!«, erklärte Lea. »Jedenfalls wird kein Mensch meine Andacht stören. Und dich erkennt auch keiner in Vilzbach. Oder warst du da schon mal? Siehst du! Ihr müsst nur möglichst rasch aus Mainz herauskommen. Schau, da ist David!«
Lucia ging das Herz auf, als sie den jungen Speyer hinter der Christophskirche auf seinem Maultier sitzen sah. David wirkte nicht ganz so zuversichtlich wie Lea. Auch er schien sich ein wenig zu fürchten. Aber Lea gab den beiden keine Möglichkeit zu einem Rückzieher. Sie rutschte vom Maultier, nahm dabei gleich Lucias leichten Mantel mit - am Morgen vor dem Kirchgang war es noch kühl gewesen, aber jetzt, zum Reiten, hatte Lucia das Cape abgenommen und vor sich aufs Maultier gelegt - und hüllte sich hinein.
»Wann ist denn die Abendmesse?«, erkundigte sie sich dann rasch. »Ihr müsst rechtzeitig zurück sein, damit wir vorher tauschen können. Aber zurück zu den Schraders musst du nicht, Lucia, geh einfach direkt nach Sankt Quintin. Sag ihnen, du hättest dich nach dem Ritt mit der Jüdin beschmutzt gefühlt und dafür hier im Gebet büßen wollen!«
Damit huschte Lea davon. Ohne jedes Zögern verschwand sie hinter dem Portal der Kirche.
»Hoffentlich macht sie keine Fehler ...«, murmelte David, aber dann ging ein Leuchten über sein Gesicht, als er sich Lucia zuwandte. Die hatte sich inzwischen aufs Maultier gesetzt und versteckte sich unter Leas Mantel.
»Ich weiß, es ist gewagt. Aber ich musste dich sehen, Lucia! Seit dem Sabbatabend denke ich nur noch an dich, spüre ich nur noch dich, atme ich dich. Ich muss dir einmal ohne Angst nahe sein. Ich liebe dich, Lucia, ich ...«
»Lass uns zusehen, dass wir hier herauskommen!«, meinte Lucia gepresst. »Wir können später reden.«
David wandte sich nach Süden und ritt durch das Fischtor auf die Uferstraße am Rhein entlang. Dies war der gefährlichste Teil der Strecke, denn die Lagerhäuser und Stapelplätze für Bauholz, Eisen und Korn gehörten zu großen Teilen Juden. David mochte dort Bekannte treffen - sogar Leas Verlobter hätte ihnen über den Weg laufen können. Hier kam den beiden jedoch zugute, dass am Sonntag nicht das übliche rege Treiben herrschte. Die christlichen Lagerarbeiter besuchten ihre Gottesdienste, und die Juden bemühten sich, die religiösen Gefühle ihrer christlichen Nachbarn möglichst nicht zu verletzen, indem sie am Tag des Herrn auffällig ihrer Arbeit nachgingen. Die meisten Kaufleute verschanzten sich mit Büroarbeiten in ihren Kontoren oder blieben sogar zu Hause. Auf jeden Fall nahm niemand Notiz von David und Lucia, ihren Reittieren und dem Packmaultier, das sie mit sich führten. Auch später argwöhnte niemand. Juden auf den Fernstraßen waren ein gewohntes Bild, und jüdische Frauen pflegten sich oft zu verschleiern.
Dennoch atmete Lucia auf, als sie auch die Außenbezirke der Stadt hinter sich ließen. Inzwischen verspürte sie auch wieder Hunger und war angenehm überrascht, als David den Ritt schon kurz vor Vilzbach unterbrach. Der Junge lenkte seine Tiere in ein Weidengehölz am Rheinufer, wo man gut versteckt lagern konnte. Dann holte er Brot, Trockenfleisch und Wein aus den Satteltaschen.
»Hier, ich wusste doch, dass sie dich vor dem Gottesdienst hungern lassen!«, meinte er lachend und beförderte auch noch Decken und eine Art Tischtuch zutage, auf dem Lucia die Speisen anrichtete. Sie aß hungrig und lag dann - zum ersten Mal ganz entspannt und glücklich - neben David in der Sonne. Bereitwillig ließ sie zu, dass er sie küsste und diesmal nicht nur ihre Lippen, sondern auch ihren Ausschnitt und den Ansatz ihrer Brüste streichelnd und kosend erforschte. Schließlich öffnete er sogar die Schnüre, die ihr Leinenhemd fest am Körper hielten, und tastete sich tiefer. Hier gebot Lucia ihm jedoch sanft,
Weitere Kostenlose Bücher