Die Pestärztin
natürlich nicht ganz schickt. Aber glaubt mir, mein Herr wird auf die Tugend des Mädchens achten, und es gibt keine bösen und geheimen Künste im Haus des Juden Speyer.«
Lucia war hin und her gerissen. Also hatte Lea ihr verziehen; sie lud sie zu ihrer Hochzeit ein! Lucia empfand jubelnde Freude. Sie erkannte jetzt erst, wie sehr sie Lea vermisst hatte. Andererseits würde sie auch David wiedersehen - und Al Shifa! Letzteres ließ ihr Herz vor Freude rasen.
»Es wäre auch mein sehnlichster Wunsch, Herr Meister und Frau Meisterin, bei der Hochzeit meiner Freundin zugegen zu sein!«, wandte Lucia sich in gemessenen Worten an ihre Herrschaft. »In der Woche vorher und danach will ich abends gern zwei Stunden länger schaffen, um die Zeit auszugleichen. Es wird ja jetzt schon später dunkel, da brauche ich auch kein Licht.«
An Kerzen sparte die Meisterin besonders streng. Dabei hätte Lucia die Abende zu gern genutzt, um sich wieder ein wenig im Schreiben und Lesen zu üben. Sie hatte in einem jüdischen Laden ein paar Bögen jenes neuen Schreibmaterials »Papier« erstanden, dazu Feder und Tinte. Sobald das Licht am Abend ausreichen würde, wollte sie versuchen, das »Handbuch« des Ar-Rasi aus dem Gedächtnis zu kopieren und vielleicht sogar ins Lateinische zu übersetzen.
Der Meister schien zu schwanken, doch die Schraderin war wohl begierig, ihre Lehrtochter später nach der Judenhochzeit auszuforschen. Lucia hörte in der letzten Zeit immer öfter Gerüchte unter den Christen, in denen jüdische Feste und Zeremonien mit Magie und blutigen Ritualen in Verbindung gebracht wurden. Sie wusste, dass das Unsinn war, aber die Mainzer schienen es zu glauben. Zumindest taten sie so, als liefen ihnen Schauer des Grauens über den Rücken, wenn sie von jüdischen Untaten hörten.
»Mein Herr bietet Euch an, den Verdienstausfall zu ersetzen«, bemerkte Hans rasch. Das hatte er wohl eben vergessen. »Und auch sonst würde es Euer Schaden nicht sein.«
Das bezog sich zweifellos auf weitere Rabatte im Stoffhandel des Juden. Für Meister Friedrich gab es letztlich den Ausschlag.
»So gebt Eurem Herrn Bescheid, dass Lucia Küferin die Einladung annimmt«, brummte er. »Aber sie kommt mir vor Dunkelwerden zurück, und sie wird keinen heidnischen Ritualen beiwohnen!«
Letztere Bedingung war hart für Lucia, verwehrte sie ihr doch die Anwesenheit bei der eigentlichen Hochzeit. Traurig dachte sie an Lea, als es Zeit für die Freundin wurde, das rituelle Bad vor der Trauungszeremonie zu besuchen. Wie gern hätte sie das Mädchen begleitet! Sie kaute am harten Brot der Meisterin und wusste, dass Lea jetzt fastete, Zeichen der Besinnung vor der Hochzeit.
Die junge Braut würde auch der Übergabe der Geschenke zwischen Braut und Bräutigam entgegenfiebern. Das traditionelle Gebetbuch, das Juda zweifellos überreichen würde, war zwar keine Überraschung, aber von einem reichen Bräutigam wie ihm waren auch weitere Geschenke wie Schmuck oder kostbare Stoffe zu erwarten. Lea selbst hatte über die Brautgeschenke für ihren Gatten sicher monatelang nachgedacht. Gewöhnlich hätte sie mit Lucia oder anderen Freundinnen endlos darüber beraten. Erneut bereute Lucia den Bruch zwischen sich und den Speyer-Kindern - und freute sich umso mehr, dass Lea jetzt einlenkte.
Leas Trauung sollte nicht in der Synagoge, sondern zu Hause stattfinden. Hans, der Lucia schließlich abholte, versicherte den Schraders, die ärgsten Gotteslästerungen würden vorbei sein, wenn das Mädchen einträfe.
Lucia fragte sich, was wohl so gotteslästerlich daran war, dass Braut und Bräutigam unter einem Baldachin, der ihr Haus repräsentierte, einen Becher Wein miteinander teilten und der Mann der Frau einen Ring übergab. Aber diese Zeremonie war tatsächlich schon zu Ende, als Lucia das Haus der Speyers betrat. Wieder mal durch den Kücheneingang; Hans hatte es nicht gewagt, vorn anzuklopfen.
Aus den großen Räumen im ersten Stock des Speyer'schen Hauses klang eben Psalmengesang - und dann konnte Lucia dem allerletzten Teil der Eheschließung doch noch beiwohnen. Sie stand neben Al Shifa und der vor Rührung weinenden Sarah Speyer, während die letzten Segenssprüche gesprochen wurden.
»Gepriesen seist du, Herr, der den Bräutigam mit der Braut erfreut.«
Juda ben Eliasar warf dann mit Schwung ein Glas zu Boden und lachte seiner tief verschleierten jungen Braut dabei zu. Dieses Ritual war nicht ganz ernst zu nehmen; tatsächlich war es ein
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