Die Pestärztin
Bitten, Vorwürfen und Liebesbeteuerungen. Lucia versuchte zunächst, ihn zu überzeugen, gab es später jedoch auf und ging schweigend an ihm vorüber. Dabei schmerzte ihr Herz kaum weniger als das seine. Sie hätte sich oft genug zu gern in seine Arme geschmiegt. Aber Al Shifa hatte recht: Das musste ein Ende haben.
Leider sah auch Lea nicht ein, warum Lucia die Romanze zu beenden wünschte. Das Mädchen bestürmte die Freundin, David nicht aufzugeben. Sicher gäbe es eine Lösung für diese einzigartige, wahre Liebe. Vielleicht könnte Lucia ja zum Judentum übertreten! Bestimmt gab es irgendein Land auf der Welt, in dem dies möglich war. In Al Andalus zum Beispiel wurden Juden und Christen geduldet. Wenn sich dort ein Rabbi fände ...
Lucia war Al Andalus so fern wie der Mond. Weder hatte sie genug Geld noch Mut, um ihre Lehrstelle zu verlassen und sich auf eine ungewisse Reise zu begeben. Dafür - auch das konnte sie sich jetzt eingestehen - war David ihr ganz einfach nicht wichtig genug. Sie war zweifellos verliebt in ihn gewesen, doch ihre zärtlichen Gefühle für ihn wurden mit jedem Tag schwächer und wichen schließlich sogar einer Art Gereiztheit. Wenn David sie wirklich liebte, sollte er ihre Entscheidung annehmen und ihr das Leben nicht weiter schwer machen!
Eines Tages schleuderte sie das auch Lea entgegen, die ziemlich beleidigt darauf reagierte.
»Du willst also nichts mehr mit uns zu tun haben? Fühlst du dich jetzt doch als etwas Besseres, da du unter den Christen lebst und keine gelben Ringe an den Kleidern tragen musst? Ist David dir nicht gut genug?«
All das zerrte an Lucias Nerven. Sie war es müde, immer wieder zu betonen, dass ihr letztlich nur Davids Wohl am Herzen lag. Auf jeden Fall verbrachte sie ihre Sonntage wieder im Haus ihres Meisters, statt angebliche Besuche zu machen oder in der Kirche zu beten. Sie verlor wieder Gewicht, weil keiner mehr Leckereien vorbeibrachte. Andererseits schlief sie besser, weil sie nicht mehr nächtelang grübelte. Anfänglich hoffte sie noch auf ein erneutes Auftauchen Al Shifas in der Kirche, doch der einmalige Auftritt als gläubige Greisin hatte der Maurin offenbar gereicht. So verging der Winter, und Lucia ergab sich in ihr freudloses Leben. Keine Liebe, keine Aufregung - aber auch keine Gefahren. Sie redete sich ein, zufrieden zu sein, auch wenn sie sich nachts in ein klammes, kaltes Betttuch schmiegen musste, weil die Schraderin wieder am Holz sparte. Sie sehnte sich dann manchmal nach Davids warmem Körper - oder nach dem eines anderen Mannes. Vielleicht einem, für den sie wirkliche, tiefe Liebe empfand, so sehr, dass auch sie ihr Leben für ihn hingegeben hätte! Lucia versuchte, sich diesen Mann vorzustellen, doch ihre Phantasie versagte. So rekapitulierte sie wieder die Kapitel aus Ar-Rasis Buch, um sich abzulenken. Wenn sie nur den Kanon hätte studieren können! Sie hatte immer so viel Freude an Büchern und Gelehrsamkeit gefunden.
Schließlich wurde es erneut Frühling, und Lucias Herz klopfte heftig, als sie eines Sonntags nach der Messe wieder einmal ein Reittier der Speyers vor dem Schrader'schen Haus warten sah. Diesmal allerdings eines der beiden Pferde, kein Maultier. Und der Reiter war auch kein Familienmitglied, sondern der alte Knecht Hans.
Lucia lächelte ihm vertrauensvoll zu - und wunderte sich darüber, dass es in seinen Augen beinahe lüstern aufblitzte, als er ihr honigblondes Haar unter der Haube hervorquellen und ihre Augen aufleuchten sah.
»Sieh an, die kleine Lucia! Was für ein artiges Mägdelein du geworden bist! Kannst dich sicher kaum retten vor Burschen, die um dich werben!«, neckte er sie. »Wer könnte diesen Augen widerstehen! Aber sieh zu, dass du einen ordentlichen Christenmenschen freist! Du musst mir versprechen, den Blick züchtig gesenkt zu halten, wenn du auf der Judenhochzeit tanzt!«
»Auf welcher Hochzeit denn?«, fragte die Meisterin sofort streng und schob sich halb zwischen Lucia und Hans. »An meinen Mann ist keine Bitte ergangen, sein Lehrmädchen freizustellen.«
»Sie ergeht hiermit!«, erklärte Hans und machte eine ungelenke Verbeugung vor dem Meister, seiner Frau und Lucia. »Ich darf Euch untertänigst bitten im Namen meines Herrn, des Meisters Speyer. Am achten Tag des nächsten Monats wird er seine Tochter verheiraten, und es ist der sehnlichste Wunsch des Mädchens, seine alte Freundin um sich zu haben. Auch wenn die eine Jüdin ist, die andere rechten Glaubens, was sich
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