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Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
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Ich wusste, was mir bevorstand: Folter und Tod. Und so setzte ich diesmal wirklich alle Verführungskünste ein, die Farah mich gelehrt hatte. Ich brachte die Stadtwächter dazu, sich eine Nacht lang mit mir zu verlustieren. Es war eine schreckliche Nacht. Aber am Ende hatte ich sie so weit in der Hand, dass sie an einen Ausweg dachten. Statt mich den Pfaffen auszuliefern, verkauften sie mich an einen jüdischen Sklavenhändler. Allah weiß, was sie dem Bischof hinterher erzählten, aber er forschte wohl nicht groß nach. Vielleicht schlug ja doch sein Gewissen. Und sicher war es auch die Klugheit des jüdischen Händlers, die mich rettete. Meine Geschichte war dem Mann bereits zu Ohren gekommen, als die Büttel mich brachten. Und er zeigte sich gütig, er wollte helfen! So behielt er mich nicht bei sich, sondern gab mich gleich weiter an einen Freund, der in den Norden zog. Versteckt unter den Waren des Benjamin von Speyer verließ ich Toledo. Ich bin ihm und den seinen seitdem treu ergeben, wie du weißt.« Al Shifa senkte den Kopf, als wolle sie für ihre Herren beten.
    »Weshalb du nun auch alle Hebel in Bewegung setzt, um David vor der Heirat mit einer Christin zu bewahren!« Lucia taten die Worte schon leid, als sie noch nicht ganz ausgesprochen waren.
    Die Maurin blitzte sie an. »Oder ich will meine Tochter im Geiste davor bewahren, von einem Mann enttäuscht zu werden!« Erschrocken von ihrem eigenen Ausbruch sah Al Shifa sich um. Es war unverzeihlich, in der Kirche die Stimme zu erheben, aber inzwischen hatten sich auch die letzten Gläubigen verzogen; es war hoher Mittag.
    »Glaubst du denn, David würde mich verraten und verlassen, wie dein Federico damals dich?«, fragte Lucia mit gedämpfter Stimme. »Glaubst du, er ist so ... so ...«
    Al Shifa biss sich auf die Lippen. »Ich hoffe es nicht, denn dann hätte ich versagt. Schließlich hatte ich größten Anteil an seiner Erziehung. Aber niemand sieht in eines anderen Menschen Herz. David ist schwach, Tochter, das war er immer. Als Kind war er launisch und unbedacht. Dabei kein schlechter Kerl, er meint es heute sicher ehrlich. Aber morgen? Was ist, wenn ihm plötzlich zu Bewusstsein kommt, was ihm tatsächlich bevorsteht, wenn er seine Familie verlässt? Bislang sind das romantische Träume, den Rittergeschichten entsprungen, die aus Frankreich kommen und auch aus meinem Land. Aber wenn es wirklich ernst wird? Und selbst wenn er tatsächlich mit dir flieht: Wie lange wird seine Liebe halten? Will er deinen Geist und deine Gesellschaft, Tochter? Führt ihr ernste Gespräche, genießt ihr das Zusammensein? Oder will er nur deinen Körper? Und wie lange wird der ihn fesseln, wenn ihr gezwungen seid, zu betteln und zu stehlen, um auf der Straße zu überleben?«
    »Auf der Straße?«, fragte Lucia leise. »Aber er ...«
    »Er plant, seine Familie nicht nur zu entehren, sondern auch noch zu bestehlen. Ja, ich weiß alles, Tochter, Lea hat es mir erzählt. Sein Geist ist zurzeit verwirrt, Lucia. Wenn man von Verzauberung reden kann, so hast du es bei David wirklich geschafft. Aber daraus erwächst nichts Gutes, Tochter. Glaub es mir.«
    Damit stand Al Shifa auf, deutete einen ungelenken Knicks vor dem Allerheiligsten an und verließ gebeugt und hinkend die Kirche. Sie spielte die Rolle der alten Frau wirklich hervorragend.
    Lucia dagegen blieb in der Kapelle. Sie hatte das Essen vergessen, das die Meisterin für sie zurückhielt, und sie spürte auch nicht die Härte der Kirchenbänke. Dafür dachte sie an Davids Umarmungen, Küsse und Versprechungen. Aber auch daran, dass sie nie wirkliche Freunde gewesen waren, bevor das Verlangen über sie gekommen war. Vertraute Gespräche, gemeinsame Interessen - all das hatte es nie gegeben. David wollte nicht Lucia, er wollte ihren Körper. Und Lucia wollte nicht David, sie wollte nur Geborgenheit, ein Zuhause und ein bisschen Vergessen im Rausch der Lust.
    Lucia gestand es sich nicht gern ein, aber diese »Liebe« war es nicht wert, die Familie der Speyers zu zerstören, sich selbst zu entehren und David ins Unglück stürzen zu lassen.
    Als Lucia die Kirche nach der Abendmesse verließ, war sie fest entschlossen. Sie würde David von Speyer nicht wiedersehen.

9
 
    N atürlich war David nicht bereit, Lucias Entschluss zu akzeptieren. Nach wie vor wartete er täglich in der Nische im Hinterhof der Schneiderei, und Lucia wagte es kaum, den Abtritt zu benutzen. Wenn sie dem Jungen begegnete, überschüttete er sie mit

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