Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Pestärztin

Titel: Die Pestärztin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Jordan
Vom Netzwerk:
glasig, und er stand unsicher auf den Beinen.
    Lucia floh aus dem Zimmer.
    Sie wusste später nicht mehr, wie sie aus dem Haus und dann über die schon dunklen Straßen unter die Wollengaden zurückgekommen war. Die Schraderin wartete auf sie, um sie zusammenzustauchen, aber Lucia rannte nur schluchzend an ihr vorbei und schlug die Tür ihrer Kammer hinter sich zu. Die Meisterin hätte dort eindringen können, aber so wichtig schien ihr die Sache nicht zu sein.
    Lucia verkroch sich unter ihren Laken. Was mochte nun geschehen? Würde David sich wirklich von seiner Familie lossagen? Und würde sie dann mit ihm gehen? An diesem Abend hatte sie Angst vor ihm gehabt. Sie wollte nicht mehr, dass er sie berührte. Und eine ungewisse Zukunft mit ihm als seine Gattin erstrebte sie erst recht nicht.
 
    Diese Frage sollte sich aber gar nicht mehr stellen. Am nächsten Morgen wurde sie unsanft geweckt. Die Meisterin drang bei Sonnenaufgang in ihre Stube ein und riss ihr die Decke weg.
    »Pack deine Sachen zusammen!«, erklärte sie hart und warf Lucia einen Kittel zu, um sich zu bedecken. »Wir wissen, was geschehen ist. Der Meister Speyer hat vor Tau und Tag noch Boten geschickt. Eine Judenhure! Haben wir's doch immer gewusst! Deshalb wollten sie dich damals auch so dringend loswerden. Obwohl du doch die beste Freundin der kleinen Prinzessin warst! Schöne Freundin! Den Bruder verführen! Verschwinde jetzt! Brauchst gar nicht mehr in die Werkstatt zu gehen, mein Gatte will dich sowieso nicht sehen.«
    »Aber ... aber wo soll ich denn hin?« Lucia sah sie hilflos und noch schlaftrunken an.
    »Weiß ich doch nicht! Vielleicht nimmt dich ja ein Hurenwirt! Oder die Küferin, da passt du zwischen, in den Haufen Dirnen und Diebe!«
    Lucia musste sich beeilen, ihre wenigen Sachen zusammenzuraffen, bevor die Meisterin ihre kleinen Schätze womöglich noch entdeckte und zerstörte. Sie besaß nicht viel: zwei Kleider und einen Mantel, ihr kostbares Papier und ein winziges Silberkettchen, das David ihr auf dem Höhepunkt ihrer Romanze geschenkt hatte. Schließlich stolperte sie durch die Gassen, dem Judenviertel zu.
    David war jetzt ihre einzige Hoffnung. Er musste gestehen, dass sie keinen Anteil an der Sache gehabt hatte - oder er musste zu ihr stehen und sie wirklich heiraten. Das behagte ihr zwar immer noch nicht, aber es wäre besser, als gänzlich allein auf der Straße zu stehen.
    Verzweifelt näherte sie sich der Hintertür der Speyers - und wurde ebenso rasch und hinterrücks in den Schatten der Ställe gezogen, wie gestern von David in die Bibliothek. Lucia hätte fast aufgeschrien, aber dann erkannte sie Al Shifa. Diesmal war es die Maurin, die ihr aufgelauert hatte.
    »Al Shifa, es war nicht so, wie sie denken!«, beteuerte Lucia. »Ich habe nichts getan, ich ...«
    »Ich weiß, meine Tochter. Der Junge war gänzlich betrunken, er hat völlig die Kontrolle verloren. Gestern hat er noch die halbe Nacht herumgeschrien und geweint, aber heute ist er wieder bei sich. Und die Sache ist ihm furchtbar peinlich.« Al Shifa legte tröstend die Arme um ihr Ziehkind.
    »Wird er sie denn richtig stellen?« Davids Gefühle waren Lucia zur Zeit herzlich gleichgültig.
    Al Shifa seufzte. »Ach, Liebes, er erinnert sich ja kaum! Und die Speyers wollen auch gar nichts hören. Sie haben heute Morgen gar nicht mehr mit ihm gesprochen, sondern ihm nur aufgetragen, seine Sachen zu packen. Heute Nachmittag geht ein Schiff den Rhein hinunter. David wird mitfahren, mit einem Empfehlungsschreiben an einen Kaufmann in den Niederlanden. Da wird er zunächst arbeiten und anschließend auf Reisen gehen. Bis der zurückkommt, können Jahre vergehen. Und du kannst sicher sein, dass ihn dann eine gute jüdische Verlobte hier erwartet - wenn sie ihn mal nicht gleich mit der Tochter des Niederländers vermählen. Das war wohl sowieso im Gespräch.«
    »Aber was ist mit mir?«, fragte Lucia verzweifelt. »Ich bin doch ganz unschuldig. Ich bin Jungfrau, ich ...«
    »Du bist den Speyers keinen Gedanken mehr wert, Tochter. So ist das, wenn man nur ein Spielball der Mächtigen ist. Aber ich werde mit dir zur Küferin gehen und ihr etwas Geld geben. Dann nimmt sie dich sicher vorerst wieder auf. Bis du eine neue Stellung findest. Es tut mir so leid, Tochter ...« Al Shifa zog das Mädchen an sich.
    »Und mir tut es leid!«
    Lucia fuhr zusammen, als sie Davids Stimme hörte. Noch jemand, der auf sie gewartet hatte. Der Junge musste sie vom Fenster aus gesehen und

Weitere Kostenlose Bücher