Die Pestärztin
geschnürte Leibbinde. Aber dann brachte ich ein Mädchen zur Welt. Es sah aus wie du als kleines Kind, Lucia! Süß und zart und blond ... Aber vielleicht hatte es ja später dunkles Haar ... ich hab's nach dem zweiten Tag nicht wiedergesehen. Der Herr hat's weggebracht ...«
Al Shifa wischte sich über die Augen. Auch jetzt noch, so viele Jahre danach, schmerzte sie der Verlust ihres Kindes.
»Über's Jahr kam das zweite Kind zur Welt. Wieder ein Mädchen. Diesmal mochte ich es kaum ansehen, aber der Herr bestand darauf, dass ich es stillte. Nur einmal, aber es sollte Kraft fürs Leben haben. So hat er's wohl wirklich nicht ausgesetzt, sondern zu den Klosterschwestern gebracht, wie er's gesagt hat. Für mich war's so oder so verloren.«
Al Shifa schwieg kurze Zeit, als fiele es ihr zu schwer, weiter zu erzählen, aber dann fasste sie sich und setzte wieder an.
»Mit den Jahren gewöhnte ich mich an mein Leben. Ich fand mich mit dem Gedanken ab, an der Seite des Bischofs alt zu werden. Er kam nicht mehr so oft in mein Bett, dafür begann er, die Dinge zu schätzen, die ich sonst gelernt hatte. Du wirst es nicht glauben, aber manchmal schrieb ich gar seine Predigten. Wir waren wie ein Ehepaar, das einander weder liebt noch hasst. Aber dann kam er, Federico Moreno de Salamanca. Und ich verliebte mich ...«
Al Shifa vergrub ihr Gesicht in den Händen, was Lucia wunderte. War es nicht ein Glück, sich zu verlieben?
»Federico war ein Ritter, ein schöner Mann, edel und kostbar gewandet, jung, klug, in vielen Künsten bewandert. Aber auch er war nicht frei, er war ein Tempelherr ...«
»Einer dieser Mönchsritter, die im Heiligen Land kämpften?«, fragte Lucia. Sie hatte im Hause der Speyers von den Templern gehört. An sich sollten die Ritter die Straßen im Heiligen Land für die Reisenden sichern. Jüdischen Händlern machten sie das Leben aber oft eher schwerer als leichter.
Al Shifa nickte. »Sein Leben war gottgeweiht, wie sie es nannten«, bemerkte sie. »Aber Federico war ein Heißsporn. Wie dein David. Er liebte mich über alles, wollte nichts mehr, als mich besitzen, ganz und gar. Er war bereit, alles für mich aufzugeben. Oh, diese Nächte in Toledo! Ich höre noch seine Stimme, nah an meinem Ohr, während er mich hielt. Seinen Orden wollte er verlassen, seinem Stand als Ritter entsagen. Nur der Liebe würden wir leben! Und ich war wie im Rausch, ich lebte durch seine Küsse, brannte bei jeder seiner Berührungen. Endlich verstand ich all die Verse über die Liebe, mit denen Farah uns genährt hatte, als wir Kinder waren. Dies war die Erfüllung, und ich zweifelte keinen Augenblick daran, dass mein Ritter es ernst mit mir meinte ...«
Al Shifas Blick war träumerisch in die Ferne gerichtet, aber dann standen auch wieder Tränen in ihren Augen.
»Aber er hat dich verlassen?«, fragte Lucia, begierig darauf, das Ende der Geschichte zu hören.
Al Shifa kehrte zurück in die Wirklichkeit. »Viel schlimmer, Tochter. Er gestand dem Bischof seine unendliche Liebe zu seiner Haushälterin und bat ihn, sich bei seinem Großmeister für eine ehrenhafte Entlassung aus dem Orden einzusetzen. Der Bischof aber lachte ihn nur aus. Nach all den Jahren an seiner Seite bezieh er mich der Unkeuschheit und Unzucht. Ich sei eine Hure, die zeit ihres Lebens unter seinem Dach von einem Liebhaber zum anderen zog. Zwei Hurenkinder habe er ins Kloster bringen müssen, zwei andere im Garten verscharrt. Einen Mann wie Federico sei ich nicht wert, er solle mich vergessen!«
»Und das hat er geglaubt?« Lucia war entsetzt.
»Er spie es mir entgegen! Und ich ... ich war immer noch jung damals, jung und dumm und unendlich verletzt ... ich sagte ihm die Wahrheit. Ich erzählte ihm davon, wie ich als Geschenk des Bischofs nach Toledo gekommen war, dass er seine eigenen Kinder verleugnete ... Ich sagte alles, Lucia, und hätte mich damit beinahe ins Verderben gestürzt.«
»Aber du hattest doch gar nichts getan!«, wunderte sich Lucia.
»Das sagst du! Aber für die Kirche war ich Eva, die Schlange, die den guten Bischof verführt hatte. So musste er es darstellen, schon um sein Amt zu behalten, denn Federico machte alles publik! Ganz Toledo sprach von der maurischen Hexe, die einen Kirchenfürsten vom rechten Weg abgebracht hatte. Der Kardinal befragte meinen Herrn, und dem fielen immer neue Zaubereien ein, deren ich mich angeblich bedient hätte, um ihn in mein Bett zu locken. Schließlich kamen die Büttel, um mich zu holen.
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