Die Pestärztin
heidnischer Brauch, der ursprünglich der Abwehr böser Geister diente. Die Gäste klatschten dazu jedoch übermütig, und jemand stimmte auch schon ein fröhliches Lied an, während man Juda und Lea für kurze Zeit in einen Nebenraum führte. Ihr erstes Alleinsein als Ehegatten symbolisierte die körperliche Vereinigung. Tatsächlich aber würde Juda die junge Braut nur entschleiern, und beide würden einander erstmalig als Vermählte ins Gesicht sehen und vielleicht ein paar freundliche Worte wechseln.
Leas Gesicht jedenfalls strahlte überirdisch, als das Paar schließlich wieder zu den Gästen stieß. Die Brautleute standen jetzt einem Bankett vor; es wurde gegessen, später getanzt und gesungen.
Lucia speiste an der Seite Al Shifas, die diesmal nicht als Magd zugegen war, sondern zu den geladenen Gästen gehörte. Sie war überglücklich, ihre Pflegetochter zu sehen, sagte aber kein Wort über den gemeinsamen Kirchenbesuch.
Nur einmal, als irgendjemand erwähnte, wie stolz Sarah und Benjamin heute auf ihre schöne Tochter sein konnten, drückte die Maurin kurz Lucias Hand.
»Keiner könnte stolzer auf seine Tochter sein als ich, mein Kind!«, sagte sie leise.
Lucia suchte ihren Blick und sah Verständnis und Anerkennung. Al Shifa musste wissen, wie schwer ihr die Trennung von David und damit auch von Lea gefallen war.
David schenkte Lucia zunächst kaum Aufmerksamkeit. Wie bei jüdischen Festen üblich, saßen Männer und Frauen getrennt. Sie tanzten auch nicht miteinander, wie die Christen, sondern in eigenen Zirkeln. Im Laufe des Nachmittags floss der Wein jedoch in Strömen, und Davids Selbstbeherrschung geriet ins Wanken. Immer wieder streiften Lucia seine zunächst scheuen, dann fast lüsternen Blicke. Gegen Abend meinte sie, auch Zorn darin zu erkennen. Aber inzwischen war sie endlich zu Lea vorgedrungen und beachtete den Jungen nicht weiter. Lea war selig, die alte Freundin zu sehen, und begierig, ihr all die Geschenke zu zeigen, die Juda und seine Familie ihr gemacht hatten.
»Und denk dir, Judas Vater hat ein Haus gleich hier nebenan für uns erstanden! Ich muss nicht wirklich wegziehen, und Al Shifa kann meine Kinder erziehen wie damals uns! Du kannst auch immer kommen und mich besuchen! Jeden Sabbatabend, versprich es mir! Und ...«
»Dann brauchst du ja gar kein weißes Maultier!«, neckte Lucia ihre Freundin, und beide kicherten über Leas kindische Wünsche von früher. Die junge Frau sah heute wunderhübsch aus. Sie trug tatsächlich einen Schleier aus der golddurchwirkten Seide, die Lucia damals im Lagerhaus mit ihr ausgewählt hatte, und ihr Kleid war zwar aus schlichterer blauer Seide, aber mit goldenen Borten abgesetzt. Vor allem aber strahlte Lea von innen heraus. Sie schien wirklich in Juda verliebt zu sein.
Die anderen Frauen hatten jetzt zu tanzen begonnen, und Lea zog auch Lucia in den Kreis. Al Shifa tanzte ausgelassen wie ein junges Mädchen, und schließlich ließ sie sich ausnahmsweise überreden, abgeschirmt im Kreis der Frauen einen jener maurischen Tänze aufzuführen, die darauf zielten, die Lust der Männer zu steigern. Lucia und vor allem Lea sahen fasziniert dabei zu, und Lucia musste beim Gedanken an Juda lachen, für den Lea diesen Tanz bestimmt ab morgen übte.
Über all das Scherzen und Herumspringen mit den anderen Frauen hatte sie David inzwischen völlig vergessen. Auch an die Schneiderei dachte sie nicht - und auch nicht daran, dass sie selbst nie eine Hochzeit wie diese erleben durfte. Wie alle anderen war das Mädchen vom Wein berauscht und vergnügt. Erst als die Mägde die ersten Kerzen entzündeten, wurde sie sich des Versprechens bewusst, das sie den Schraders gegeben hatte.
»Ich muss gehen!«, erklärte sie Lea bedauernd. »Schon jetzt ist es spät. Aber noch kann ich wohl allein durch die Stadt gehen. Oder denkst du, Hans könnte mich wieder begleiten?«
Lea kicherte. »Die Knechte haben sich dem Wein schon längst ergeben. Mein Vater hat reichlich Krüge in den Stall bringen lassen. Würde mich wundern, wenn Hans noch stehen kann. Die Kerle sind doch sonst nur an Bier gewöhnt.«
Lucia fand das nicht gar so lustig, aber es war ein Dienstag. Am nächsten Tag mussten alle arbeiten, und so würden die Straßen sicher noch nicht mit angetrunkenen Zechern gefüllt sein, wenn sie im letzten Licht des Tages heimwärts lief. Das gedachte sie dann aber auch zu nutzen. Sie verabschiedete sich rasch und verließ die Festräume auf dem Weg zur Treppe. Doch
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