Die Pestärztin
sich jetzt in den Stall geschlichen haben.
David sah schrecklich aus, übernächtigt, verweint und verkatert. Auch jetzt noch hatte er Tränen in den Augen.
»Ich wollte dich wirklich heiraten. Ich ... liebe dich, Lucia. Aber meine Eltern ...« Der Junge druckste herum. »Meine Eltern sind nun mal dagegen, und ...«
»Deine Eltern sind dagegen? Nein, wirklich? Wo wir doch bisher immer der Ansicht waren, sie könnten sich kaum halten vor Begeisterung über eine christliche Schwiegertochter?« Lucia fuhr den Jungen an. Sie konnte nun wirklich kein Bedauern für ihn aufbringen.
»Ja ... nein ... Du musst verstehen. Weißt du, Lucia, wenn du im letzten Jahr ... also wenn du da Ja gesagt hättest. Aber jetzt ... Gestern, das wolltest du doch nicht wirklich!«
»Noch eine Überraschung!« Lucia musste sich zwingen, ihm nicht das Gesicht zu zerkratzen. »Gestern scheint dir das entgangen zu sein.«
»Ich war ein bisschen betrunken. Aber jetzt ... also, wenn du es nicht willst und meine Eltern nicht wollen ... ich muss jetzt auch erst mal ein paar Monate weg. Vielleicht, wenn ich zurückkehre ...«
»Ach, vergiss es doch, David!«, schrie Lucia ihn an. »Wer will dich schon heiraten? Wenn ich heirate, dann einen Mann, kein verwöhntes, jüdisches Muttersöhnchen! Du könntest wenigstens die Wahrheit sagen, du ...« Sie trommelte nun wirklich mit den Fäusten auf ihn ein. »Du zerstörst mein Leben!«
»Und du wirst jetzt die Finger lassen, von meinem verwöhnten jüdischen Sohn!« Sarah Speyers kultivierte, ruhige Stimme klang schneidend. Al Shifa musste gesehen haben, dass ihre Herrin eintrat, aber es war zu spät, Lucia zu warnen. »Denn im Gegensatz zu dir hat er ein Leben, das zerstört werden kann. Geh mir bloß aus den Augen, und wag dich nicht wieder her. Wenn ich dich je hier wiedersehe, lasse ich die Hunde auf dich hetzen! Hurenkind!«
Lucia warf ihren beiden Pflegemüttern einen verzweifelten Blick zu, sah nur Hass bei Sarah, verzweifeltes Mitleid bei Al Shifa. David hielt die Augen gesenkt. Dabei hätte er die Sache jetzt noch richtig stellen können. Aber er war es nicht wert, noch einmal das Wort an ihn zu richten. Lucia umklammerte ihr Bündel und rannte hinaus.
Sarahs Worte klangen noch in ihr nach.
»Hurenkind!«
Die Pestärztin
M AINZ 1347-1349
1
J udendirne! Als ob ich es nicht immer geahnt hätte!«
Die Küferin baute sich in einer so entrüsteten Haltung vor Lucia auf, als empöre sich hier eine Heilige über die Todsünde. »Sie können die Finger nicht von Christenmädchen halten ... meiner Seel, was hab ich mir Sorgen gemacht, als ich das Grietgen da in Stellung gab! Aber das Grietgen ist rausgekommen! Rein und unschuldig wie frisch gefallener Schnee. Du dagegen ... aber ich habe es immer gewusst.«
Lucia schwieg, während die Küferin lamentierte. Sie war zu verzweifelt und erschöpft, um auch nur bitter darüber lachen zu können. Das tugendhafte Grietgen - dessen Neunmonatsbauch auch das weiteste Hängerkleid nicht hatte kaschieren können, als es den Knecht der Schenke am Heumarkt vor den Traualtar zerrte! Der junge Mann war ein bisschen dümmlich, aber immerhin ein Christ - »mit Märtyrerqualitäten«, hatten Lucia und Lea damals gescherzt. Ein weniger duldsamer Galan hätte Grietgens Balg nie anerkannt. Nun aber galt Grietgens Ehre als gerettet, während Lucia für einen Kuss büßen sollte, den sie nicht einmal gewollt hatte.
»Schlafen kannst du hier«, gab die Küferin schließlich Antwort auf die Frage, die ihren ganzen Sermon ausgelöst hatte. »Aber glaub nicht, dass es umsonst ist. Unsere Prinzessin wird in Stellung gehen müssen! Wenn sich einer findet, der dich nimmt! Ein Judenhürchen ist ja nicht mal in den Schenken gern gesehen. Wer weiß, was er dir angehext hat, der Meister David Speyer ...«
Lucia versuchte, nicht hinzuhören. Obwohl sie sich die Frage nach ihrer Zukunft in Lohn und Brot natürlich auch stellte. Als Lehrtochter würde sie niemand mehr nehmen. Ohne Speyers Protektion war sie dafür schließlich schon vor einem Jahr zu alt gewesen. Also kam nur die Stellung einer Magd oder Zugehfrau infrage. Sie würde an den Küchentüren der Bürgerhäuser vorsprechen müssen - und sie hatte kein Zeugnis und keine Erfahrung als Küchenmädchen vorzuweisen. Bei einem Mädchen ihres Alters würde das Verwunderung auslösen. Man würde auf dem Markt und in der Kirche über sie reden, und sehr schnell käme dabei die Schraderin zu Wort! Dann wäre die
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