Die Pestärztin
Schenke zu bekämpfen suchte, indem sie aromatische Kräuter und Blütenblätter verbrannte, wie Al Shifa es sie gelehrt hatte, erhielt sie sogar ein Lob. Dazu war das Essen in der Schenke nicht mit dem mageren Tisch der Schraderin zu vergleichen. Der Wirt mästete seine Leute regelrecht; er kochte gern und probierte oft neue Rezepte. Lucia und die anderen mussten dann kosten, und meist fielen die Saucen und Fleischgerichte sehr schmackhaft aus. Um die Mittagszeit kamen aber auch schon die ersten Gäste. Lucia musste beim Kochen helfen und sie bedienen. Sie lernte bald, Letzteres mit einem Lächeln zu tun, weil dann mal ein Pfennig als Trinkgeld für sie abfiel. Wenn es Abend wurde, zwang sie sich hier jedoch zur Vorsicht: Je mehr die Männer tranken, desto zudringlicher wurden sie, und ein Lächeln deuteten sie dann schnell als Aufforderung. Lucia lernte, ihre tastenden Finger zu fürchten, die gern in ihren Ausschnitt grapschten, während sie die Becher mit Wein oder Humpen mit Bier vor ihnen abstellte. Der Wirt half ihr hier nicht. Zwar wollte er keine Huren in der Schenke, aber er hatte bald gemerkt, dass die Anwesenheit des hübschen Mädchens den Umsatz hob. So behielt er sie nun auch gern länger da als nur bis zur neunten Stunde, und wenn sie sich über die Zecher beschwerte, ermahnte er sie lachend, nicht allzu prüde zu sein.
Dies alles trug dazu bei, dass das Mädchen die Arbeit in der Schenke bald hasste, allem guten Essen zum Trotz. Im Viertel der Küferin galt sie neuerdings zudem als Freiwild: Eine Judendirne, die in einer Schenke bediente - da war wohl nicht viel Tugend zu verteidigen. Lucia dachte nur noch an einen Ausweg, doch so sehr sie auch grübelte, ihr fiel nichts ein, das sie von der Schlafstelle bei der Küferin und dem Tagwerk in der Schenke befreien konnte.
Obwohl sie immer noch in der Nähe der Speyers wohnte, sah Lea sie nie mehr, und Al Shifa bekam sie nur selten zu Gesicht. Sarah Speyer hatte ihre Sklavin offensichtlich angewiesen, jeden Kontakt mit dem Mädchen abzubrechen, und so wagten sie kaum, Blicke zu wechseln, wenn sie doch mal zusammentrafen. Einmal begegneten sie sich jedoch bei Morgengrauen, als Lucia zur Arbeit ging. Sarah Speyer war erkrankt, und Al Shifa eilte zu einer der Apotheken, um eine Medizin für sie zu besorgen. Lucia ging neben ihr her und hatte so Gelegenheit, ihrer Ziehmutter kurz von ihrem neuen Leben zu erzählen.
»Bewahr nur deine Tugend!«, mahnte Al Shifa. »Auch wenn es noch so schwerfällt. Irgendwann kommen auch wieder bessere Zeiten, dies kann nicht das Ende sein. Ist der Schankwirt vom Heumarkt nicht Witwer? Vielleicht würde er dich zur Frau nehmen, wenn du's geschickt anstellst.«
Die Maurin dachte hier praktisch, aber Lucia würde sich nie überwinden können, mit dem Schankwirt zu schäkern. Allein der Gedanke, des Nachts unter diesem Bären von einem Mann zu liegen, der nach Bier und Wein und Bratenfett stank, jagte ihr Schauer über den Rücken. Der Wirt hatte bislang auch keinen Funken von Interesse gezeigt. Wenn man ihn mit Weibern tändeln sah, so mit drallen, großen Frauenzimmern. Die zarte Lucia zog ihn nicht an. Wahrscheinlich behielt er sie auch als Magd nur aus Mitleid. Lucia wusste genau, dass sie nicht so viel schaffte wie andere Küchenhilfen. Umso weniger wagte sie sich zu weigern, wenn sie abends zum längeren Bleiben und Bedienen der Gäste aufgefordert wurde.
Dann aber bot sich plötzlich eine unerwartete Gelegenheit zum Wechsel. Lucia bediente den Schreiner Wormser, der eben gegenüber einem Zunftgenossen seinem Zorn Luft machte.
»Ich komm kaum noch in die Werkstatt, bei all der Arbeit zu Hause. Dazu lachen die Gesellen über mich. Ein Meister, der Weiberarbeit macht, wo kommen wir da hin! Aber die Agnes schafft es nicht, so klein und zierlich wie sie ist, und mit dem Kind unterm Herzen. Sie versucht es wirklich, aber Wasser schleppen, den Ofen anfeuern ... dazu das Kochen für mich und die zwei Gesellen. Ohne Magd bringt sie nichts zustande. Und die Küchenmädchen sind uns ja auch weggelaufen. Die Agnes ist ganz allein mit dem großen Haus.«
Agnes war Meister Wormsers junge Frau, von der er stets voller Zärtlichkeit sprach. Lucia mochte den jungen Handwerker - auch deshalb, weil er nie einen Blick für sie hatte, der über einen freundlichen Gruß hinausging. Der Schreiner liebte seine Agnes und seinen kleinen Sohn - und hatte vor ein paar Wochen mit Zunftbrüdern gefeiert, dass die junge Frau bald ein
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