Die Pestärztin
Geschichte mit der Judendirne bald in ganz Mainz herum. Lucia dachte ernstlich darüber nach, aus der Stadt zu flüchten. Aber in Worms oder Trier wüsste sie erst recht nicht wohin.
An diesem albtraumhaften Tag versuchte sie es zunächst in den Häusern der christlichen Hebammen. Wenn da eine Stellung als Magd frei wäre, könnte sie mit niedrigen Verrichtungen anfangen, sich dann aber sicher hocharbeiten. Wenn sie ab und zu ein paar Worte mit der Herrin wechseln könnte, würde eine Hebamme bald merken, dass Lucia für die Küche zu schade war.
Allerdings wurde in keinem der Haushalte eine Bedienstete gesucht, und auch in den Häusern der Ärzte und Apotheker wies man ihr die Tür. Letzteres zum Teil hohnlachend, denn hier hatte Lucia sich erboten, auch bei der Medikamentenherstellung zu helfen. Schließlich kehrte sie völlig entmutigt heim in die Bude der Küferin und rollte sich auf ihrem Strohsack zusammen. Zum Glück schlief sie immerhin ohne Belästigungen. Die älteren Söhne der Küferin waren aus dem Haus, und der dreizehnjährige Armin war nun doch noch zu schüchtern, sich gleich an die heimgekehrte »Ziehschwester« heranzumachen.
Lucias zweiter Versuch, sich als Küchenmagd zu verdingen, verlief ebenso wenig zufriedenstellend. Niemand wollte ein fast achtzehnjähriges Mädchen, noch dazu eines ohne Empfehlungen. In aller Regel nahm man eher Zehn- bis Dreizehnjährige auf. Die kosteten fast nichts, und die Köchin bog sie sich schon zurecht. Eine kräftige Dreizehnjährige schaffte zudem nicht weniger weg als die zarte Lucia. Die meisten Köchinnen oder Hausmeister schüttelten schon den Kopf, wenn sie ihre schmale Gestalt sahen. Körperliche Arbeit würde diesem Mädchen kaum liegen.
Schließlich war es dann Grietgen Küfer, die Lucia zu einer Stelle verhalf. Sie besuchte eben ihre Mutter, als Lucia sich nach dem zweiten Tag Arbeitssuche entmutigt und hungrig ins Haus schlich.
Die beiden Frauen hatten das Thema eben durchgehechelt, aber Grietgen war offensichtlich großzügiger Stimmung.
»Der Wirt in der Schenke am Heumarkt sucht ein Mädchen«, bemerkte sie, nachdem ihre Mutter Lucia rüde auf die ausstehende »Miete« hingewiesen hatte.
Lucia sah müde zu ihr auf. »Ein Küchenmädchen oder eine Hure?«, fragte sie.
Grietgen lachte dröhnend. »Ein Küchenmädchen in der Schenke kann sich immer leicht was dazuverdienen!«, bemerkte sie. »Aber dem Wirt geht's wohl mehr ums Putzen und Wasserholen, Küchenarbeit ... na, vielleicht ein bisschen Bierausschank, hübsch biste ja. Da wird mancher gern 'nen Humpen mehr trinken, wenn er von so zarter Hand aufgetragen wird. Und über der Schenke ist eine Herberge, da kannst du dich weich betten, mit einem Kerl, sofern er zahlt. Und wenn du ordentlich putzt, kriegst nicht mal Flöhe!«
Lucia wollte erwidern, dass sie ganz sicher keinen Wert darauf legte, sich an irgendjemanden zu verkaufen - weder für ein paar Kupferpfennig beim Hurenwirt noch heimlich für besseres Geld in einer ordentlichen Schenke. Aber ihr fehlte die Kraft zu einem Streit, und wenn der Wirt am Heumarkt ihr ehrliche Arbeit gab, so sollte es ihr recht sein. Im Grunde konnte sie sogar jetzt noch hingehen und danach fragen! Womöglich fiel dabei sogar ein Happen Essen für sie ab, selbst wenn sie im Abfall würde suchen müssen. Sie hatte den ganzen Tag nichts gegessen, und die Küferin machte auch keine Anstalten, ihr von der dünnen Suppe abzugeben, mit der sie ihre Bälger zum Nachtmahl fütterte.
Die Schenke am Heumarkt war ein deutlich gediegeneres Lokal als die Kneipen im Judenviertel, aber natürlich drangen auch hier Krach und die Gesänge betrunkener Zecher bis auf die Straße. Lucia fürchtete sich, einzutreten, aber der Duft nach über dem Feuer gebratenem Fleisch stieg ihr verführerisch in die Nase. Wie in den meisten Schenken wurde auch hier direkt in der Gaststube gekocht und gebraten. Der Knecht, Grietgens Mann, drehte einen halben Ochsen über dem Feuer, während der Wirt Bier ausschenkte. Lucia schob sich ängstlich an die Feuerstelle heran. Sie hatte die Kapuze ihres Mantels über ihr Haar gezogen und hoffte, nicht aufzufallen. Aber natürlich riefen die Männer ihr doch Komplimente und Zoten zu.
»Was willst du?«, fragte der Wirt streng, als sie vor ihm knickste. Dirnen waren hier offensichtlich nicht gern gesehen. Lucia atmete auf, obwohl der harte Ton sie verschreckte.
»Ich habe gehört, Herr, Ihr sucht eine Küchenmagd«, sagte sie leise.
»Eine was?
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